Erinnerungen eines Spions für Deutschland: Ein zufriedener Todeskandidat

von Martin Rath

09.08.2015

Obwohl er 1945 in den USA zum Tode verurteilt werden sollte, erhielt Erich Gimpel viel Zeit, das gute Essen und den vorbildlichen Strafvollzug auf der Gefängnisinsel Alcatraz zu loben. Eine Geschichte über einen etwas dilettantischen Spion.

Am 29. November 1944 stiegen vor der Küste des US-Bundesstaats Maine zwei Männer aus dem deutschen U-Boot 1230, kamen mittels Schlauchboot an Land, um alsbald von einem 15-jährigen Pfadfinder entdeckt zu werden. Diesem kam es verdächtig vor, dass die beiden Herren mit schweren Koffern durch die vorwinterliche Landschaft marschierten, noch dazu ortsunüblich gekleidet – ein wahrer Herr trägt schließlich Hut.

Freilich hielt die örtliche Polizeibehörde nichts vom Verdacht des Knaben, hier seien Spione an Land gekommen. Auch die regionale Dependance der Bundespolizei FBI wies den hartnäckigen Pfadfinder ab. Man glaubte, er sei von jener Spionage-Paranoia erfasst, die seit Jahren die US-Medien beherrschte.

Dank dieser Nachlässigkeiten gelang es den Agenten, dem 35-jährigen deutschen Staatsangehörigen Erich Gimpel und dem 26-jährigen US-Bürger William Curtis Colepaugh, mit der Eisenbahn über Boston nach New York zu reisen. Gimpel gab später an, dass der Kauf von Hüten mit zu den ersten Taten ihrer Arbeit als Spione zählte.

Ein deutscher Spion und die Atombombe

Dem Zusammenspiel aus der bräsigen Polizeiarbeit in Maine und ungeschriebenen Gepflogenheiten des US-amerikanischen Staatsbetriebs in Washington sollten Colepaugh und Gimpel später ihr Überleben verdanken.

Doch der Reihe nach. In New York City will Erich Gimpel, wie er in den 1950er Jahren in seinen Erinnerungen unter dem markigen Titel "Spion für Deutschland" behauptete, erfolgreich einen Informanten aus einem deutschen Agentennetzwerk um Auskünfte zum Stand des Manhattan-Projekts angegangen sein. Ein wenig Nötigung sei dabei im Spiel gewesen, weil dieser Mr. Brown, seit geraumer Zeit von Kontakten zum Deutschen Reich abgeschnitten, inzwischen doch eher an den Sieg der Alliierten geglaubt habe.

Gimpel sollte später in seinen Erinnerungen des Weiteren erzählen, dass es ihm gelungen sei, einen Funkspruch nach Deutschland abzusetzen und seine Auftraggeber im Reichssicherheitshauptamt darüber zu informieren, dass sich die junge US-amerikanische Atomindustrie anschicke, zwei oder drei Bomben fertigzustellen. Zur Zuverlässigkeit solcher Selbstauskünfte in den Erinnerungen des Spions wird noch ein Wort zu verlieren sein.

Spione werden hingerichtet. Damit muss man leben

Colepaugh, der nach Darstellung seines Kollegen Gimpel in Feigheit, Angst und Alkohol versank und nach Jahren im tristen Deutschland wohl auch die Lust an der bunten Lebenslust seines Heimatlandes wiederfand  – man hatte in den Koffern reichlich US-Dollar aus Reichsbankbeständen mitgeführt – stellte sich am 26. Dezember 1944 dem FBI.

Gimpel wurde vier Tage später gefasst, als er sich bei einem Zeitungshändler in New York City eine peruanische Zeitung kaufen wollte. Colepaugh hatte den Ermittlern verraten, dass sein Compagnon in den 1930er Jahren als deutscher Gastarbeiter in dem lateinamerikanischen Land lebte. Lustig immerhin, dass Gimpel später unaufhörlich darauf herumreiten sollte, um wie viel professioneller er selbst doch das Spionagehandwerk betrieben habe, im Vergleich zu seinem unsicheren jungen Kollegen.

Immerhin war auch Gimpel ernsthaft und professionell genug zu wissen, dass ihn kein anderes Urteil als die Todesstrafe erwarten würde. Spione, die ihre Waffen nicht offen tragen, stehen bekanntlich nicht unter dem besonderen Schutz des Kriegsvölkerrechts. Im Sommer 1942 waren bereits zwei Gruppen deutscher Agenten vor den Küsten Floridas und Long Islands aus den U-Booten gestiegen.

Warum US-Bürger nach dem 11. September 2001 kaum Rechtsschutz hatten

Das strafrechtliche Nachspiel der Vorgänge von 1942 bildet bis heute einen wichtigen Komplex im Bemühen US-amerikanischer Juristen, die Staatsgewalt über den heimlichen Feinde ihrer Nation hereinbrechen zu lassen und natürlich auch – was in Deutschland gern übersehen wird – das besondere Feindstraf- und -strafprozessrecht einzuhegen, wenn nicht ganz zu beenden.

Im Fall von 1942, als späterer Vorgang beim U.S. Supreme Court bekannt unter der Bezeichnung Ex parte Quirin, 317 U.S. 1 (1942),  setzte US-Präsident Franklin D. Roosevelt durch eine "Executive Proclamation" einen militärischen Spruchkörper eigener Art ein, zu Deutsch: ein Sondergericht. Richter, Ankläger und Verteidiger wurden vorgegeben, eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Richter entstammte dem Generalsrang der US-Streitkräfte. Das Beweiserfordernis wurde im Vergleich zu Geschworenengerichten reduziert.

Alle acht U-Boot-Agenten des Jahres 1942 waren wegen des Vorwurfs der Spionage, Sabotage und Verschwörung zum Tod verurteilt, sechs von ihnen starben am 8. August 1942 auf dem elektrischen Stuhl.

Der oberste Gerichtshof der USA verweigerte 1942 auch jenen beiden Angeklagten, die als US-Staatsangehörige nach der US-Verfassung womöglich Anspruch gehabt hätten, vor ein reguläres Gericht zu kommen, diesen Schutz.

Damit wurde die Quirin-Entscheidung zur Grundlage des juristischen Vorgehens gegen US-Bürger, denen die US-Regierungen nach den Anschlägen des 9. November 2001 den Schutz durch ordentliche Gerichte beziehungsweise das Verfahren vor gewöhnlichen Militärgerichten verweigerte, man könne ihnen als klandestine Feinde einen Sonderstatus zuweisen – so wie einst den deutschen U-Boot-Agenten.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Erinnerungen eines Spions für Deutschland: Ein zufriedener Todeskandidat . In: Legal Tribune Online, 09.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16540/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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