Armenrecht: Rechts­ge­schichte des Bet­telns

von Martin Rath

08.12.2013

Die nahende Weihnachtszeit ist, zumindest der Idee nach, auch eine Zeit der Nächstenliebe. Doch im Vergnügungsslalom zwischen Weihnachtsmarkt, Geschenkekauf und Gänseessen gerät die Bedürftigkeit mancher Mitmenschen leicht in Vergessenheit. Immerhin ist die Bitte nach milden Gaben heute ungefährlicher als noch vor 100 Jahren. Martin Rath wirft einen Blick auf den Umgang der Justiz mit Bettlern.

Eine Witzblattszene griff der scharfe Journalismus- und Justizkritiker Karl Kraus (1874-1936) auf, um unterschiedliche Haltungen des Bürgers gegenüber der offenen Armut zu zeigen: "Ein Blinder und ein Lahmer betteln an der Straßenecke. Ein Passant wirft dem Blinden einen Heller in den Hut. Da reißt der Blinde die Augen auf: 'Was, nur an Heller?', und beschimpft den Wohltäter. Dieser holt einen Wachmann, was die Bettler veranlaßt, die Flucht zu ergreifen, bei der der Lahme, um besser vorwärts zu kommen, die Krücke unter den Arm nimmt."

Seinen Wiener Landsleuten unterstellte Kraus in seinem Ein-Mann-Medium "Die Fackel" (v. 27.07.1909, Nr. 285-286, S. 38 ff.), den nur vorgeblich behinderten Bettlern nun jene körperlichen Schäden zufügen zu wollen, derentwegen sie ihr Mitleid erregten - nur hilfsweise hole der gewaltbereite Wiener die Polizei. Den Deutschen attestierte Kraus eine entspanntere Haltung. In Berlin "würde man an einem Surrogatkrüppel nicht Anstoß nehmen und entweder die Findigkeit belohnen oder sein Mitleid jener Not zuwenden, die zu solchen Mitteln der Verstellung greifen muß".

Verfassungsgerichtshof verbietet absolutes Bettel-Verbot

Ob die Wiener heute ein weniger (staats-)gewaltbereites Verhältnis zu den Bettlerinnen und Bettlern in ihrer Stadt haben, mag dahingestellt bleiben. Zu den jüngsten rechtshistorischen Belegen zum Umgang der Justiz mit dem Phänomen "Bettelei" zählt jedenfalls ein Urteil des österreichischen Verfassungsgerichtshofs, der am 30. Juni 2012 zu einer Reihe betteleispezifischer Fragen Stellung nahm.

Eine diese Fragen betraf den § 29 des Landessicherheitsgesetzes für das Bundesland Salzburg, der eine (wohl kaum jemals beizutreibende) Geldstrafe bis 500 Euro bzw. Ersatzfreiheitsstrafe bis zu einer Woche jedem androhte, der "an einem öffentlichen Ort oder von Haus zu Haus von fremden Personen unter Berufung auf wirkliche oder angebliche Bedürftigkeit zu eigennützigen Zwecken Geld oder geldwerte Sachen für sich oder andere erbittet".

Der Verfassungsgerichtshof stellte fest, dass die Salzburger Norm gegen zwei Sätze des Österreichischen Bundesverfassungsrechts verstoße: Eine sachliche Begründung, auch das sogenannte "stille Betteln" zu unterbinden, konnte das Gericht nicht erkennen, womit der Gleichheitsgrundsatz nach Art. 7 des Bundesverfassungsgesetzes verletzt werde.

Ein undifferenziertes Verbot auch des stillen, nicht aggressiven Bettelns verstoße zudem gegen die Kommunikationsfreiheit nach Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die in Österreich Verfassungsrang hat (Urt. v. 30.6.2012, Az. G 155/10‐9). Dem Anliegen, das Betteln nach der EMRK auch als vom Grundsatz der Berufsfreiheit mitgeschützt anzuerkennen, folgte der Verfassungsgerichtshof hingegen nicht.  

Betteln als sozial wichtige Funktion im katholischen Mittelalter

Das Land Salzburg erließ später einen neuen Bettelei-Paragraphen, der nun zwischen stillem und solchem Betteln differenziert, dessen Verbot sachlich gerechtfertigt erscheint. Aggressives Betteln ("aufdringlich durch Anfassen unaufgefordertes Begleiten oder Beschimpfen"), Betteln unter Beteiligung Minderjähriger oder unternehmerisch organisiertes Betteln sind danach untersagt.

Das Recht hat nicht immer so differenziert, Bettelei sogar als eine Art Beruf anerkannt. Mit dem Gedanken, dass sich vermögende Bürger durch die Gabe von Almosen ein besseres Leben nach dem Tod sichern könnten, erkannte das katholische Mittelalter dem Bettler noch eine sozial wichtige Funktion zu. Die Versuche, Bettler mit Zuckerbrot und Peitsche von der Straße zu bekommen - einerseits durch Armenspeisung, andererseits durch kommunale Polizei-Satzungen nebst Arbeits- und Zuchthäusern –  begannen in den meist protestantisch-reformierten Städten. Bis ins Jahr 1974/75 schrieb auch das deutsche Strafrecht, unter anderem mit der Vorschrift des § 361 Ziffer 4 Strafgesetzbuch (StGB), das grundsätzlich absolute Betteleiverbot mit möglicher Einweisung ins Arbeitshaus fort.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Armenrecht: Rechtsgeschichte des Bettelns . In: Legal Tribune Online, 08.12.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10284/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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