Vergewaltiger in Freiheit – eine Schlagzeile, die Angst verbreitet. Land muss Ex-Sicherungsverwahrten Entschädigung zahlen – eine Meldung, die für Empörung sorgt. Wie geht man mit Menschen um, die die Gesellschaft eigentlich für immer wegsperren wollte, die nun aber doch in Freiheit sind? Annelie Kaufmann sprach mit einem Freiburger Bewährungshelfer, der sich für die Männer einsetzt.
Peter Asprion ist jemand, der sich mit den Tätern beschäftigt, nicht mit den Opfern. Jemand, der Männern hilft, die schwere Verbrechen begangen haben. Einer, der sich für die Menschenwürde von ehemaligen Sicherungsverwahrten einsetzt. Er vertritt, "nicht mehrheitsfähige Thesen", wie er selbst sagt. "Ich will die Sicherungsverwahrung abschaffen und wenn ich es genau durchdenke, auch den Strafvollzug." Stattdessen setzt er auf Resozialisierung – und auf eine Gesellschaft, die lernt, mit dem Risiko von Straftaten zu leben. Für sein Publikum ist das manchmal schwer auszuhalten. Die Debatte um den Umgang mit entlassenen Straftätern spaltet.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Mai 2011 die Vorschriften zur Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt hatte, mussten die Gerichte in zahlreichen Fällen die Entlassung von Sicherungsverwahrten anordnen. Die öffentliche Aufmerksamkeit war nicht immer so groß wie in dem sächsischen Dorf Insel. Dort protestierten Anwohner über Monate vor der Wohnung zweier ehemaliger Sicherungsverwahrter, oft beteiligten sich Neonazi-Gruppen an den Protesten. Mittlerweile ist der Bürgermeister der Gemeinde zurückgetreten.
Angst und Hilflosigkeit etwas entgegensetzen
Doch auch in anderen Fällen zeigte sich die Politik überfordert. Sie versprach Überwachung, wusste nicht wohin mit den Entlassenen, die meist Jahrzehnte im Knast verbracht hatten, und sah sich immer wieder mit Protesten der Nachbarn konfrontiert, wenn bekannt wurde, wo ehemalige Sicherungsverwahrte untergebracht werden sollten. Asprion will der Angst und der Hilflosigkeit etwas entgegensetzen. Er fährt nach Halle und Hamburg-Moorburg, redet auf Veranstaltungen, gibt Interviews und hat ein Buch geschrieben, mit dem Titel "Gefährliche Freiheit?"
Als Bewährungshelfer betreut Asprion zur Zeit rund 42 Ex-Häftlinge, darunter drei ehemalige Sicherungsverwahrte. "Das sind Männer zwischen 16 und 72 Jahren. Straftaten? Diebstahl, Drogen, Raub, Körperverletzung, Mord, Vergewaltigung, Nötigung. Das Strafgesetzbuch quer durch. Und auch bei denen, die nicht in Sicherungsverwahrung saßen, geht es teilweise um schwere Straftaten."
Asprions Aufgabe
Er hat eine halbe Stelle bei einem privaten Träger in Freiburg. Das Gericht teilt ihm zu, um wen er sich kümmern soll. Nachdem er die Akten bekommen hat, lädt er zum ersten Beratungsgespräch ein. Wie tritt man jemandem gegenüber, von dem man weiß, dass er schwere Verbrechen begangen hat? "Na, ich sag, Guten Tag, Herr Soundso, sind Sie gut her gekommen, kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten... Und dann frag ich, was derjenige denn schon über Bewährungshilfe weiß und kläre ihn über meine Aufgabe auf."
Asprions Aufgabe steht in § 56d des Strafgesetzbuches: "Die Bewährungshelferin oder der Bewährungshelfer steht der verurteilten Person helfend und betreuend zur Seite. Sie oder er überwacht im Einvernehmen mit dem Gericht die Erfüllung der Auflagen und Weisungen". Zum einen Helfen, zum anderen Kontrollieren. Der Freiburger findet das spannend.
"Wenn er nur jemanden ermordet hätte, das wäre kein Problem"
Den entlassenen Straftätern steht er bei "allen möglichen Lebensproblemen" zur Seite: Wohnungssuche, Job, Familie, Beziehungen. Bei den ehemaligen Sicherungsverwahrten ist die Lage besonders schwierig. Das Medieninteresse ist groß, manche Täter werden anfangs von vier Polizisten rund um die Uhr begleitet. "So kriegen die keine Wohnung", sagt Asprion. Arbeit zu finden sei beinahe unmöglich. "Mir hat mal eine Mitarbeiterin einer sozialen Einrichtung gesagt: Wenn er nur jemanden ermordet hätte, das wäre ja kein Problem. Aber Sicherungsverwahrung das geht nicht."
Selbst die Bank weigert sich, ein Konto zu eröffnen. Diese Stigmatisierung empört den Bewährungshelfer. Manche der Männer sind ihm sympathisch, manche weniger, mit einigen hat er Mitleid. Manchmal ist es auch für ihn schwer, damit umzugehen, welche Taten sie begangen haben. "Aber die Menschenrechte gelten für alle."
2/2: Prognosen hält der Bewährungshelfer für unmöglich
Das treibt ihn an. Asprion hat Soziale Arbeit studiert, später auch Pädagogik und Erwachsenenbildung. Er war 17 Jahre als Sozialarbeiter in einem Freiburger Gefängnis, für zehn Jahre leitete er einen Verein zur Freien Straffälligenhilfe. Heute ist er nicht nur Bewährungshelfer, sondern leitet auch eine Praxis als Mediator. Er bietet Fortbildungen, Coachings und Täter-Opfer-Ausgleich an.
"Ich hab den Job gesucht", sagt er. "Ich hab einfach ein Herz für Ausgegrenzte und Zu-Kurz-Gekommene". Es ist ein Beruf mit einer großen Verantwortung. "Ziel ist, dass meine Klienten nicht erneut straffällig werden. Garantieren kann ich das nicht, aber ich stecke das nicht lässig weg." Auch er hat schon erlebt, dass Straftäter erneut Drogen nehmen, Körperverletzungen oder Diebstähle begehen. "Aber ich bin schon froh, dass die ganz schweren Straftaten sowieso sehr selten vorkommen."
Prognosen hält Asprion ohnehin für unmöglich. "Der Mensch ist viel zu komplex, um vorherzusagen, wie er sich verhält. Man kann mit Wahrscheinlichkeiten rechnen, man kann sagen fünf von hundert, aber man weiß dann nicht, welcher das ist." Die Ängste der Bürger kann Asprion verstehen, aber er teilt sie nicht. "Natürlich kann ein Zug entgleisen. Aber deswegen nicht mehr einsteigen? Völlig irrational". Er verweist auf Statistiken, wonach die meisten Leute mehr Angst vor der schlechten Wirtschaftslage, vor Naturkatastrophen und vor Krankheiten haben, als davor, Opfer eine Straftat zu werden.
"Sicherungsverwahrte sind Sündenböcke"
Tatsächlich gehen gerade die Zahlen schwerer Sexualstraftaten seit Jahrzehnten stark zurück. Andererseits: Nach einer Studie des Familienministeriums haben rund 60 Prozent der Frauen in Deutschland sexuelle Belästigung erlebt, die Hälfte von ihnen gab an, sie habe sich ernsthaft bedroht gefühlt. "Man muss sich das mal überlegen", meint Asprion. "Da muss es noch ein paar mehr Täter geben." Er kritisiert, dass vor allem die ehemaligen Sicherungsverwahrten als gefährlich dargestellt werden. "Die sind auch ein Sündenbock für alle anderen Männer. Eine kleine Gruppe, auf die man das projiziert, was man selbst nicht wahr haben will."
Von den schätzungsweise rund 80 freigelassenen Sicherungsverwahrten wurde bisher ein Fall bekannt, in dem der Täter rückfällig wurde. In Dortmund hat ein Mann erneut ein Mädchen missbraucht, kurz nachdem die Polizei aufgehört hatte, ihn ständig zu überwachen. "Einer von 80", sagt der Bewährungshelfer. "Ist doch eine tolle Zahl, die auf jeden Fall die hysterische Stimmung um diese Täter nicht rechtfertigt."
"Justizminister sollten sich entschuldigen und Entschädigung zahlen"
Allerdings: Den Opfern hilft die Statistik wenig. Das weiß Asprion auch. "Ich habe mal bei einer Veranstaltung erlebt, dass sich eine Frau gemeldet und öffentlich gesagt hat, dass sie selbst Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden ist." Die war Frau trotzdem derselben Meinung wie Asprion. Das hat ihn gefreut, aber er weiß auch: "Ich rede von Durchschnittswerten. Aber der Durchschnitt versagt, wenn jemand vor mir sitzt, der Opfer geworden ist."
Er fordert deshalb, auch Opferorganisationen und Beratungsstellen zu stärken. "Wenn ich sehe, wie unterfinanziert dieser Bereich ist und dann werfen mir Politiker vor, ich würde nicht an die Opfer denken – das kotzt mich an." Stattdessen solle man lieber an übertriebenen Sicherheitsmaßnahmen sparen.
Wer zu Unrecht in Sicherungsverwahrung saß, müsse deshalb endlich entschädigt werden. Doch bisher sieht es eher so aus, als ob die Länder lieber durch alle Instanzen gehen wollen, als zu zahlen. "Eigentlich müsste jeder Landesjustizminister zu den Menschen hingehen, sich entschuldigen und sagen, hier ist der Ausgleich. Das gilt für die Täter schließlich auch."
Annelie Kaufmann, Der Bewährungshelfer Peter Asprion: "Ich will die Sicherungsverwahrung abschaffen" . In: Legal Tribune Online, 30.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7681/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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