Berichterstattung zum NSU-Prozess: "Sie ist tat­säch­lich durch und durch rosa"

Vor neun Monaten war der Ansturm auf Presseplätze beim NSU-Prozess nicht zu bremsen. Seitdem wurde zu kaum einem Thema so viel Prätentiöses, Überflüssiges und Dummes geschrieben. Eine Medienkritik von Constantin Baron van Lijnden.

Etwa neun Monate liegt der Streit um die Vergabe der Presseplätze beim NSU-Prozess zurück, und bis heute sind die Schlagzeilen jener Tage die interessantesten, die das Verfahren produziert hat. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Im Kreisen um sich selbst gelingt dem Journalismus mehr als im Sturzflug auf die Angeklagte.

Dabei wurde der Streit um die besten Plätze seinerzeit mit zum Teil solch staatstragender Rhetorik geführt, dass man bald den Bestand unseres Rechtssystems darüber in Gefahr wähnte. Auch für Tricks und Schummeleien war sich die Medienlandschaft nicht zu schade: Große Verlagshäuser schickten jede ihrer Marken einzeln ins Rennen, öffentliche Sendeanstalten taten es ihnen gleich, am Ende fielen so einige der begehrten Plätze absurd anmutenden Kandidaten wie der Frauenzeitschrift Brigitte zu.

Die einst begehrten Plätze bleiben ungenutzt

Und heute? Bleiben viele der glücklichen Gewinner der Verhandlung fern oder vergeben ihre Plätze an andere Medien, die bei der Losziehung leer ausgegangen sind. Noch deutlicher ist das Bild in den Zuschauerreihen der Öffentlichkeit: An vielen Verhandlungstagen erscheint hier so gut wie niemand, ein Teil der Sitze wird dann von nicht akkreditierten Journalisten eingenommen, ein anderer bleibt leer.

Daran ist nichts verwunderlich, denn der Brei, der zu Anfang des Verfahrens so heiß gekocht wurde, ist bei täglicher Verabreichung ziemlich unbekömmlich. Fast will man in der Zeit zurückgehen und den ehemals Empörten zurufen: Ruhig Blut, dieses Verfahren wird sterbenslangweilig! 188 Prozesstage bis Ende 2014 – seid froh, wenn euch das erspart bleibt!

Darin liegt, wohlgemerkt, weder eine Marginalisierung der Taten des NSU noch eine Kritik an ihrer gerichtlichen Aufarbeitung. Bei einer so hohen Zahl gravierender Verbrechen, die über einen derart langen Zeitraum verübt wurden, müssen zwangsläufig Unmengen an Zeugen gehört, Schriftstücken gelesen, Gegenständen in Augenschein genommen werden. Das ist eine notwendige Aufgabe, aber keine beneidenswerte, und auch keine, über die sich packend berichten ließe.

Wovon man nicht sprechen kann, darüber sollte man schweigen

Einige Medien versuchen es gleichwohl, und was dabei herauskommt, sind traurige Mahnstücke des gescheiterten Journalismus. Allein von der Nachrichtenagentur dpa und ihren diversen Landesdiensten gingen in dieser Redaktion im Dezember vergangenen Jahres 118 Meldungen zum  NSU-Prozess ein. Selbst wenn man Meldungen, in denen der NSU nur eine Nebenrolle spielt, Mehrfachmeldungen und Korrekturmeldungen außen vor lässt, sind das nach grob überschlägiger Rechnung immer noch: viel zu viele.

Highlights der Berichterstattung beinhalten Beobachtungen zum Geruch von Beate Zschäpes Socken ("Das hat sehr unangenehm gerochen, das kann man nicht darstellen auf den Bildern. Ich hab' das assoziiert, als ob man das länger trägt") oder die Vernehmung ihrer im Vorfeld als "mögliche Entlastungszeugin" gehandelten Nachbarin (die 91-Jährige konnte weder ihr eigenes Alter noch ihre Adresse angeben).

Kein Detail ist zu bedeutungslos, um gedruckt zu werden. Jemand soll aussagen?  Das ist eine Nachricht wert. Jemand sagt doch nicht aus? Eine Nachricht. Beate Zschäpe reagiert auf die Aussage eines Zeugen? Auch das ist eine Nachricht. Sie reagiert nicht? Das erst recht! Mit großer Sorgfalt wird das Land über ihre Kleidung, ihre Frisur, jede ihrer Regungen auf dem Laufenden gehalten, als täte das irgendetwas zur Sache.

Das rosa Brillenetui der "Diddl-Maus"

Und weil es eben nichts zur Sache tut, wird versucht, diesen Nichtigkeiten mittels freier Interpretation Tragweite und Bedeutung einzuhauchen. Zschäpes Brillenetui ist nicht einfach nur rosa, es ist so rosa, dass dagegen "die Unschuld einer Wolke im Morgenrot bereits grob anmuten würde". Mehr noch: Rosa ist die ureigene Tönung der Täterin, die wohl in einem Farbtopf statt im Mutterleib heranwuchs ("Sie ist tatsächlich durch und durch rosa"!), allmählich jedoch ausgraut, denn: "Ihr Inneres hat gar keine Farbe. […] Reine Kälte, gemacht aus Gleichgültigkeit und Kitsch."

Zschäpe genießt die (mediale) Aufmerksamkeit, die ihr zuteilwird? Das ist ein Missstand, der am besten in einem langen Artikel bei einem großen Medium besprochen wird. Ob die dortige Stilisierung zur "heimlichen Siegerin" wirklich so treffend ist, mag man allerdings bezweifeln: Ihre Freunde sind tot, ihre Pläne am Ende, ihr restliches Leben spielt sich womöglich in einer Zelle ab und ihre Nachbarn nannten sie "Diddl-Maus". Das muss schon ein sehr heimlicher Sieg sein, den sie da feiert.

Eigentlich feiert sie auch gar nicht, sondern sitzt mit zumeist ungerührter Mine da, während Schreiber allerorten ihrem Antlitz so verzweifelte Deutungsversuche abringen, als sei sie die Mona Lisa. Vielleicht ist ihr gelegentliches Lächeln ja gerade dem Bewusstsein geschuldet, dass darüber bald länglich debattiert, Kommentare geschrieben und Zwischenrufe verfasst werden. In dem Fall wird Zschäpe wohl noch viel zu lächeln haben: Bis Jahresende sind rund 90 weitere Verhandlungstage terminiert. Dass das ausreichen wird, gilt als unwahrscheinlich.

Zitiervorschlag

Constantin Baron van Lijnden, Berichterstattung zum NSU-Prozess: "Sie ist tatsächlich durch und durch rosa" . In: Legal Tribune Online, 11.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10950/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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