Nachruf auf Ronald Dworkin: Normen drehen und wenden mit Witz und Verstand

23.02.2013

Am 14. Februar starb in London der US-amerikanische Rechtsphilosoph Ronald M. Dworkin. Die Wiederbegegnung mit seinem Werk löst neben elegischen Bedürfnissen auch das leicht nörgeligen Gefühl hervor, das B-Movies aus US-Produktion mit sich bringen: Ob das alles gut war, was man da vor Augen hat? Ein auch etwas unfreundlicher Nachruf von Martin Rath.

Sterben ist eine ernste Sache, weshalb in Nachrufen gerne auf die witzigen Seiten im Leben des großen Verblichenen verwiesen wird. Nun lässt sich zwar Übersetzungskomik kaum dem Verfasser eines fremdsprachigen Originals zurechnen, doch ein Scherz, den sich der renommierte Wissenschaftsverlag mit der deutschen Ausgabe von "Bürgerrechte ernstgenommen" (deutsch 1984, englisch "Taking Rights Seriously" 1977) erlaubt hat, führt sehr direkt zum leicht nörgeligen Gefühl, das die (Wieder-)Lektüre von Ronald M. Dworkins erstem Hauptwerk hinterlässt.

In einem Kapitel von "Bürgerrechte ernstgenommen", in dem Dworkin sich mit dem Einfluss der rechtspolitischen Vorstellungen von US-Präsidenten auf die Tendenzen des U.S. Supreme Courts (kurz: SCOTUS) auseinandersetzt, begegnet dem staunenden Leser ein US-Richter namens "Gelehrte Hand".

Recht unzugänglicher Rechtsphilosoph

Dass ein recht renommierter Wissenschaftsverlag den Namen des berühmten US-Bundesrichters Learned Hand (1872-1961) wörtlich übersetzen ließ, ist natürlich ein schlechter Scherz. Dem Einwand, dass er nicht in Dworkins Verantwortung liegt, wird ungefragt stattgegeben. Doch illustriert der ungewollte Witz, wie unzugänglich Ronald Dworkin trotz großer Auflagen in Deutschland (in Publikums- oder publikumsnahen Verlagshäusern) geblieben ist. Dem verballhornten Richter Hand begegnet der Leser in einem Kapitel über das rechtspolitische Programm von US-Präsident Richard Nixon (im Amt 1969-1974), eigentlich eine kaum exotische Materie. Findet man derlei dort, ist zu vermuten, dass man es bei Dworkin mit einem Fall von Unzugänglichkeit qua Ungelesenheit zu tun haben mag.

Ronald Dworkin wurde 1931 in Massachusetts geboren, erwarb Bachelor-Grade in Harvard und Oxford, arbeitete in einer renommierten Anwaltskanzlei und als wissenschaftliche Hilfskraft für besagten Richter Hand. Lehrstühle an den Universitäten Yale und Oxford, parallel eingenommen, folgten. Bekannt wurde Dworkin einem breiteren Publikum durch eine eher journalistische Arbeit als Kommentator rechtspolitischer Entwicklungen in den USA. In der Auslandsorganisation der Demokratischen Partei diente er als Vizevorsitzender. Ein gewisser Zugang zur Macht dürfte sich mithin nicht allein durch rechtsphilosophisches Gewicht ergeben haben.

Dworkins Bedeutung für die rechtsphilosophische Diskussion in Deutschland wird seinem Beitrag zur Funktion von Prinzipien in der juristischen Argumentation zugeschrieben. Die Suche nach Prinzipien, die etwa beim Fehlen anwendbarer Normen verhindert, dass die richterliche Entscheidung im blanken Dezisionismus endet, wird hierzulande meist mit dem Namen Josef Esser (1910-1999) und seinen Werken "Grundsatz und Norm in der richterlichen Rechtsfortbildung" (1956) und "Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindun" (1970) verbunden.

In "Bürgerrechte ernstgenommen" entwickelt Dworkin das Problem anhand des Falls "Spartan Steel & Alloys Ltd v. Martin & Co (Contractors) Ltd", der 1973 eine bis dahin nicht gänzlich geklärte Frage des englischen Haftungsrechtes behandelte: Wie weit geht die Haftung eines Bauunternehmens, wenn die vom Bagger zerstörte Stromleitung zu Produktionsausfällen bei einem Unternehmen führt, mit dem es in keiner vertraglichen Beziehung steht?

Offenbar keimte unter englischen Justizperücken seinerzeit der Gedanke, eine ökonomische Folgenanalyse mit in die juristische Abwägung einzubeziehen. Die Bindestrich-Rechtswissenschaften, Law & Literature, Rechtssoziologie und größer als alle anderen: der "Economic Analysis of Law" wuchsen seinerzeit zu voller Größe heran.

Zitiervorschlag

Nachruf auf Ronald Dworkin: Normen drehen und wenden mit Witz und Verstand . In: Legal Tribune Online, 23.02.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8211/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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