Feiertag: Das Him­mel­fahrts­recht

von Martin Rath

25.05.2017

Vom "argumentum ad nichts zu holen", einem an Diplomatie gescheiterten Luftrecht und der Stadt Köln, die für Ingenieure das Zentrum der Zivilisation ist – ein Feiertagsfeuilleton zum Durchfahren der himmlischen Sphären. Von Martin Rath.

Die Beschaffung von Flugzeugen der Firma Lockheed, Typ F-104 "Starfighter", gilt bösen Zungen als stilbildend: Der Kauf der US-amerikanischen Kampfflugzeuge, präferiert durch Franz Josef Strauß (1915–1988), damals Bundesverteidigungsminister, später dann verehrter Titan der bayerischen Politik, war bereits von Schmiergeldzahlungen begleitet. Aufgrund schlecht verhandelter Verträge blieb die Bundesrepublik auf erheblichen Reparaturkosten sitzen, schließlich ging fast ein Drittel der für die Luftwaffe angeschafften Maschinen durch Unfälle verloren, über 250 stürzten zwischen 1961 und 1989 – also in Friedenszeiten – ab.

Auf einen dieser Abstürze ist zurückzuführen, dass sich die Metapher "Himmelfahrtskommando" als gängiger juristischer Begriff des Beamten- und Soldatenrechts etablieren konnte. Der Sachverhalt: Am 21. Mai 1968 übte "eine Rotte von Starfightern (Strahlflugzeugen) im Tiefflug unter Blindflugbedingungen", wobei der Fluglehrer einem seiner "unterdurchschnittlich beurteilten" Schüler "die Worte 'pull it up a bit'" zurief. "11 Sekunden danach stürzte Kapitänleutnant S., der mit seiner Maschine hinter seinem Schüler flog, ab", fasste das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zusammen.

"Himmelfahrtskommando" als juristischer Begriff

Die Witwe des Soldaten begehrte die Bewilligung erhöhter Versorgungsansprüche, die ihr nach §§ 27 Soldatenversorgungsgesetz, 141a Bundesbeamtengesetz zustünden: Soweit ein Beamter "bei Ausübung einer Diensthandlung, mit der für ihn eine besondere Lebensgefahr verbunden ist, sein Leben" einsetzt, sind bei einem daraus folgenden Dienstunfall 75 Prozent der ruhestandsfähigen Dienstbezüge zu leisten.

Mit Urteil vom 12. April 1978 entsprach das BVerwG nach fast zehnjährigem Rechtsstreit dem Begehren der Witwe (Az.: 6 C 59.76).

Fraglich war unter anderem, was es heiße, "sein Leben einzusetzen". Die Leipziger hielten hierzu fest, dass "das Leben nicht nur eingesetzt wird, wenn, wie beim sogenannten 'Himmelfahrtskommando' kaum eine Aussicht besteht, heil davonzukommen, sondern auch dann, wenn die Lebensgefahr zwar erheblich ist, der Beamte (hier der Soldat) aber darauf vertrauen kann, daß ihm nichts zustoßen werde".

Seither geistert der Begriff "Himmelfahrtskommando" immer wieder durch die beamtenrechtliche Versorgungsrechtsprechung, von deren Wiedergabe hier aber ebenso abgesehen werden soll wie von den verwickelten Ausführungen zum konkreten Risiko des verunfallten Fluglehrers.

Abgesehen vielleicht von einem bei aller Tragik nicht unkomischen Detail.

Starfighter-Abstürze? Da lächelt der Doppeldeckerjurist

Zur Abwehr des witwenschaftlichen Versorgungsanspruchs hatte das Ministerium in seinem Revisionsschriftsatz angeführt, dem Klagebegehren stattzugeben laufe darauf hinaus, "den Flug mit einer F 104 G", also mit dem berüchtigten Starfighter, "generell als mit dem Einsatz des Lebens verbunden anzusehen". Dieses Argument verwarfen die Bundesrichter als "unerfindlich", also mit dem sprachlichen Gegenstück fast unsichtbaren Naserümpfens.

Das ist freilich etwas zu unfreundlich, weil nicht nur die Starfighter-Unfallstatistik, sondern auch ein Blick in die luft- bzw. luftfahrtrechtliche Literatur das Unverständnis beim Bundesverwaltungsgericht hätte mildern können. Offenbar ist fehlende Traditionspflege auch unter Juristen ein Problem.

Denn bereits die absolut grundlegenden – fast möchte man lästern: deshalb leider niemals examensrelevanten – luftfahrtrechtlichen Werke der deutschen Juristenzunft zeugen davon, dass der Luftverkehr rechtswissenschaftlich als schlechthin lebensgefährliche Angelegenheit gewürdigt wurde. An zentraler Stelle zu nennen ist die wegweisende Inaugural-Dissertation: "Das Recht der Luftfahrt. Die Haftung des Luftfahrers", mit der im Jahr 1914 Otto Hilsmann in Münster zum Doktor promoviert wurde.

Das Werk des damals 26-jährigen Juristen und "Referendars a.D. in Cöln", der während einer dreisemestrigen Studienpause selbst eine "Flugzeugbauanstalt" gründete, belegt bereits die außerordentliche Gefahr des Luftverkehrs: Für die 250 im Jahr 1910 weltweit tätigen Flieger zählte Hilsmann 30 Todesfälle, bei 700 Fliegern im Jahr 1911 waren 81 Todesfälle zu beklagen, im Folgejahr starben auf 1.200 Piloten 135 Menschen, 86 Prozent davon Flugzeugführer, im Übrigen Luftfahrtgäste oder Zuschauer.

Gemessen an den Flugstunden mag der "Starfighter" deutlich weniger tödlich unterwegs gewesen sein, in absoluten Zahlen konnten sich die Hochleistungsmaschinen der Bundeswehr und die fragilen Doppel- und Mehrdecker aus den Anfängen der motorisierten Luftfahrt aber durchaus die Hand reichen.

Luftverkehrshaftung? Argumentum ad "nichts zu holen"

In keiner Überlegung zu den heutzutage so stark ausgebauten Rechten von Fluggästen sowie zur Haftung der Flugzeughalter sollte übrigens eine Erwägung des fliegenden Juristen Otto Hilsmann fehlen.

Zum Zeitpunkt seiner Dissertation existierte für Schäden durch den Luftverkehr nur die verschuldensabhängige und eben noch keine Haftung aus Gefährdungstatbestand. Mit ihrer Einführung befasste er sich rechtswissenschaftlich: Obwohl Hilsmann feststellte, dass bereits in diesen Kindertagen der Luftfahrt rund 90 Prozent aller von Fluggeräten erzeugten Schäden auf unabwendbare Ereignisse zurückzuführen seien, damit also regelmäßig von Verschuldenshaftung frei, und trotz seiner bösen Aufzählung von Schäden – sie reicht von harmlosen Flurverheerungen in der Landwirtschaft über Schnittwunden, Bewusstseinsstörungen infolge "Nervenchock" bis zu tödlichen Schädelfrakturen und Lungenbluten –, warnte der junge Flugzeugunternehmer davor, sich von einer Gefährdungshaftung im Luftverkehr allzu viel zu versprechen.

Es gebe zwar einzelne, sehr vermögende Flieger. Meist handele es sich aber um junge Männer, die noch über kein allzu stattliches – d.h. väterliches – Vermögen verfügten und – nebenbei – oft gleich mit verstürben. Große Luftverkehrsunternehmen wie jenes des Grafen Zeppelin seien zudem regelmäßig vom Konkurs bedroht.

Ein Fall also für jenes juristische "argumentum", das wohl keinen lateinischen Namen hat: Es sei ohnehin nichts zu holen. In diesem Punkt stellt die Gegenwart nicht nur Militärfliegerwitwen besser.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Feiertag: Das Himmelfahrtsrecht . In: Legal Tribune Online, 25.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23023/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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