Schwesternschaften: Kran­ken­ver­sor­gung als Men­schen­liebe in Uni­form

von Martin Rath

16.07.2017

2/2: Schwesternschaft in Uniform

Der Gesetzgeber des Jahres 1957 legte sich mit diesen mächtigen Verbänden nicht an. Als wohl wichtigste Lobbyistin der Schwesternschaften galt die Generaloberin der Rotkreuz-Schwestern Luise von Oertzen (1897–1965).

Von Oertzen war 1935 in diese höchste Position der DRK-Schwesternschaft  aufgestiegen. Zwar bewahrte sie die Rotkreuzschwesternschaft davor, mit der "braunen Schwesternschaft" der nationalsozialistischen Volkswohlfahrt fusioniert zu werden. Parallel zur sehr engen Verflechtung der DRK-Führung mit der SS wurden aber auch die DRK-Schwestern umfassend weltanschaulich für den NS-Staat und – hierin dem völkerrechtlichen Rotkreuz-Auftrag folgend – in der Versorgung von Verletzten im Zweiten Weltkrieg eingesetzt.

Im Streit um das Krankenpflegegesetz von 1957 spielte die aus Zeiten der Pflege verwundeter Krieger sowie der klösterlichen Tradition rührende Rhetorik von der naturnotwendigen Aufopferungsbereitschaft und autoritären Führung der Krankenschwester  nach wie vor eine Rolle: Den Anhängern der professionalisierten, modernen Krankenpflege, wie sie mit finanzieller Hilfe der Rockefeller- und McCloy-Stiftung vor allem in Gestalt der 1953 gegründeten Schwesternschule der Universität Heidelberg am Horizont aufschien, warf etwa Dr. Friedrich Koch in seinem Kommentar zum Krankenpflegegesetz mehr oder minder unverblümt vor, ein totalitäres Konzept zu befürworten.

Indem die Anhänger der professionalisierten, akademisierten Pflege nicht nur die Berufsbezeichnung, sondern auch die berufliche Praxis der Krankenschwestern von einer gesetzlich geregelten Zulassung abhängig machen wollten, vergriffen sie sich am vorstaatlichen Modell, ja sogar am anthropologischen Bedürfnis, Kranke und Schwache zu pflegen.

Dass Dr. Koch schon als Ministerialdirigent im Bundesinnenministerium für das Gesetzgebungsvorhaben federführend gewesen war, dürfte die Generaloberin von Oertzen sehr glücklich gemacht haben – das konkurrierende Bundesarbeitsministerium war in Gestalt des Ministerialdirektors Professor Wilhelm Herschel (1895–1986) bereits unliebsam durch Versuche aufgefallen, die Arbeitszeiten der reinen Schwesternschafts-Krankenschwestern gesetzlich zu regeln – also die recht freie Willkür der Oberinnen zu beenden.

Markt und Ordnung und politische Diskussion

Das Krankenpflegegesetz von 1957 griff also im Ergebnis nicht in den merkwürdigen Dualismus von Krankenschwestern ein: Einerseits solchen, die von den Krankenhausträgern – in historisch steigender Zahl – als ordentliche Arbeitnehmerinnen direkt beschäftigt werden. Andererseits Schwestern, die als Mitglieder oder Arbeitnehmerinnen der Schwesternschaften kirchlicher Provenienz oder des Roten Kreuzes gestellt werden.

Der Verzicht auf eine umfassende Regelung und Aufwertung des Berufsfelds der Krankenschwester bzw. des -pflegers im Anschluss etwa an amerikanische oder skandinavische Vorbilder behinderte die Professionalisierung der Pflege bis in die jüngste Vergangenheit.
Schließlich ist von allgemeinem Interesse, gepflegt werden zu müssen will ja niemand, politisch mitreden jeder, wie sich die Qualität von Diskussionen verändert hat: In Gestalt der CDU-Abgeordneten Dr. Steinbiß bissen die SPD-Opposition, aber auch aufgeklärte Konservative wie die Abgeordnete Kalinke auf abendländisches Granit. Nicht schön, aber eindeutig.

In den 1970er Jahren reagierte die SPD, die 1957 eine vorausschauende Gesamtbetrachtung von Pflegeausbildung, Krankenhausfinanzierung und gesellschaftlichem Wandel angemahnt hatte, auf ihre frühere Erfolglosigkeit mit teils überzogenen Ideen von Gesellschaftsteuerung und Planbarkeit.

Seit den 1980er Jahren, nicht erst seit der Entwicklung von Social Media, sind abendländisches Granit und konsequentialistische Planungsdiskussionen durch kurzschlüssige moralisierende Effekthascherei abgelöst worden – heute gibt es viel zu viel Bosbach, viel zu wenig Kalinke in der öffentlichen Wahrnehmung von Politik.

Diese vielleicht etwas steil wirkende These lässt sich im Selbstleseverfahren ergründen: "Rechtsschutz für die Haube" in: Der Spiegel Nr. 26 vom 26. Juni 1957 und Protokoll der 212. Sitzung des 2. Deutschen Bundestags am 24. Mai 1957, S. 12413 ff. (PDF).

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Autor in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Schwesternschaften: Krankenversorgung als Menschenliebe in Uniform . In: Legal Tribune Online, 16.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23463/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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