Lernen vom Königreich Tonga: Keine Ver­rückten auf den Thron

von Martin Rath

04.06.2017

Zwischen Deutschland und dem Königreich Tonga bestehen seit über 140 Jahren freundschaftliche Beziehungen. Von dem Südsee-Staat kann die Welt rechtlich viel lernen. Über sonntags geschlossene Verträge und wer nicht König werden darf. 

Einem echten Prinz aus der Südsee dürfte das Wetter am 1. Juni 1977 den Gedanken aufgegeben haben, gut daran zu tun, bald wieder nach Hause zu kommen. Bei mittleren Temperaturen von zwölf bis 14 °C blieb es frisch im freien Teil Deutschlands, als Seine Königliche Hoheit Prinz Fatafehi Tu'ipelahake, Ministerpräsident des Königreichs Tonga, und Hans-Dietrich Genscher, Bundesminister des Auswärtigen, in Bonn den zweiten Freundschaftsvertrag zwischen ihren Ländern schlossen.

Nicht nur die meteorologischen Bedingungen müssen dem Gast aus jenem fernen Südseestaat, der sieben Jahre zuvor seine Unabhängigkeit von britischer Fremdherrschaft erlangt hatte, unwirtlich erschienen sein – 1977 war zudem das Jahr des "Deutschen Herbstes". Im April ermordeten Angehörige der sogenannten "Rote Armee Fraktion" Generalbundesanwalt Siegfried Buback, später sollte Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer folgen.

Die deutsche Öffentlichkeit war in der Zwischenzeit weit mehr am verlogenen Exotismus eines selbsternannten "Mescalero-Indianers" interessiert – so das Pseudonym eines gehässigen Nachruf-Verfassers, der "klammheimliche Freude" am Buback-Mord geäußert hatte – denn an Prinzen aus wahrhaft exotischen Landen.

Dieses Aufmerksamkeitsdefizit Deutschlands gilt es wiedergutzumachen.

Deutsche Marine suchte Platz für Kohle

Anlass zum deutsch-tongaischen Abkommen von 1977, das juristisch interessierten Lesern aus fleißigem Studium des Bundesgesetzblatts (vom 4. Januar 1978, Teil II, S. 136) selbstverständlich bekannt ist, war wohl ein Jubiläum. Der vage Jahrestag des ersten Freundschaftsvertrags zwischen dem Deutschen Reich und dem König von Tonga, Siaosi Tupou I. vom 1. November 1876 hatte eigentlich schon alles geregelt, was man als Tongaer in Deutschland begehren konnte, und jedenfalls fast alles, was man sich von Deutschland in der Südsee erwarten mochte:

"Friede und immerwährende Freundschaft" (Artikel 1), "der vollständigste und immerwährende Schutz" der Person und des Eigentums der jeweiligen Untertanen im anderen Land sowie ihre Befreiung von "allen politischen Aemtern [also Schöffendienste und dergleichen, MR] und Kriegsdiensten zu Wasser und zu Lande" (Artikel 2), "vollständigste Kultus- und Gewissensfreiheit" (Artikel 3), "vollständige Freiheit des Handels" (Artikel 4), Wohnsitz- und Handelsfreiheit für Deutsche auf Tonga und für Tongaer in Deutschland (Artikel 6).

Etwas mehr hatte man sich in Deutschland aber möglicherweise doch erhofft: Obwohl der König von Tonga dem Deutschen Reich nicht mehr als die Einrichtung einer Kohlenstation zur Versorgung deutscher Kriegsschiffe einräumte – das Einlaufen von Kriegsschiffen billigte man sich gegenseitig zu, allerdings fehlte noch die passende Flotte Tongas für Gegenbesuche –, war dieses Recht Gegenstand eines Vertrags zwischen Deutschland, dem Vereinigten Königreich und den USA, mit dem diese 1899 ihre imperialen Exspektanzen im Pazifik voneinander abgrenzten.

Dass König Siaosi Tupou I. (1797–1893) im Geschäft mit dem Unterhändler seines Altersgenossen Wilhelm I. (1797–1888) nicht über den Tisch gezogen wurde, hatte er womöglich dem Umstand zu verdanken, dass auf seiner Seite ein in London gebürtiger Übersetzer mit dem schönen Namen Shirley Waldemar Baker (1836–1903) an den Verhandlungen teilnahm, ein methodistischer Geistlicher, der auf Tonga nicht nur missionierte, sondern auch an der Grundlegung einer modernen Gesetzgebung mitwirkte – und gewiss dafür sorgte, dass der kaiserliche Beauftragte, der Kapitän zur See Ernst Wilhelm Heinrich Hugo Eduard Knorr, Kommandant Seiner Majestät Schiff "Hertha", den Fuß nicht weiter in die Tür etwaiger deutscher Hoheitsrechts-Anmaßungen bekam als zum Betrieb der Kohlenstation erforderlich.

An Feiertagen wird wirklich nicht gearbeitet

So geschah es denn, dass Tonga am 18. Mai 1900 britisches, nicht deutsches Protektorat und – Anlass des heutigen Unabhängigkeitstages – am 4. Juni 1970 wieder frei wurde.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieser Tag mit dem gleichen Bedacht ausgesucht wurde, aus dem die Briten ihre Unterhauswahlen abhalten, war der 4. Juni 1970 doch ebenfalls ein Donnerstag: Der Mann mit den schönen Vornamen, der Methodisten-Geistliche Shirley Waldemar Baker, hatte seinen tongaischen Täuflingen nämlich noch gründlicher beigebracht, was die unzähligen bibelfundamentalistischen Kirchen und Kirchlein im Mutterland des britischen Imperiums beherzigen und was sie von der sonntäglichen Stimmabgabe abhalten könnte: die Heiligung des Sabbaths.

So schreibt Artikel 6 der Verfassung Tongas nach heutigem Wortlaut vor, dass der "Sabbath" in Tonga heilig zu halten sei und keine Person an diesem Tag irgendeinem Beruf oder irgendeiner wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen solle, soweit nicht vom Gesetz vorgesehen. Einen warmen Südseetraum der deutschen Gewerkschaftsbewegung im Kampf gegen die Sonntagsarbeit enthält die Norm noch zudem: "(A)ny agreement made or witnessed on that day shall be null and void and of no legal effect".

Staatliche Unabhängigkeit regelt man mit einer solchen Verfassung tunlichst nicht an einem Sonntag.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Lernen vom Königreich Tonga: Keine Verrückten auf den Thron . In: Legal Tribune Online, 04.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23104/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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