Johann Wolfgang von Goethe: Der Rechtsgelehrte, der keiner sein wollte

Anton Kumanoff

26.10.2010

Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe schuf mit gewaltiger Sprache ein literarisches Werk, er gilt auch heute noch als genialer Forscher. Dass er auch Jurist war, wird hingegen häufig vergessen. Anton Kumanoff über Goethes Weg zur Rechtwissenschaft, deren Einfluss auf seine Werke und das gespaltene Verhältnis des Dichterfürsten zu seinen juristischen Kollegen.

Denkt man an Goethe, assoziiert man Faust, grandiose Theaterstücke, Romane, seine Bio-graphien und naturwissenschaftlichen Erkenntnisse. Seine Werke füllen Tausende von Seiten, er war als Intendant, Minister, Berater des Herzogs und Aufseher der Universität Jena tätig. Eine typische Dichterkarriere?

Nicht so ganz, wenn man sich seinen Hintergrund ansieht. Goethe stammte aus einer Juristenfamilie, sein Vater war Jurist und Kaiserlicher Rat, sein Onkel Rechtsanwalt und Richter. Goethe studierte denn auch auf Wunsch seines Vaters Rechtswissenschaften.

Sein Studium begann er in Leipzig, wobei er allerdings in erster Linie ein intensives Studentenleben genoss. Schon nach eineinhalb Jahren brach er dann aus gesundheitlichen Gründen sein Studium ab.

Nach der Anwaltszulassung: 28 Fälle in vier Jahren

Nach kurzer Erholung schrieb er sich an der Universität in Straßburg ein. Hier schloss er sein Studium nach weiteren eineinhalb Jahren ab und reichte zur Erlangung der Doktorwürde eine Arbeit über Staatskirchenrecht ein. Aufgrund des freisinnigen, stark an Rousseau angelehnten Ansatzes wurde das Thema aber abgelehnt. Er erlangte dann einen Abschluss als Lizentiat jur., wofür er 56 juristische Thesen aus den verschiedensten Bereichen ausarbeitete.
Nach Erlangung seines akademischen Grades ließ er sich in Frankfurt als Anwalt zu und bearbeitete in insgesamt vier Jahren immerhin ganze 28 Fälle. Selbst diese übrigens mit Unterstützung seines Onkels und seines Vaters.

Um die juristische Laufbahn des Sohnes zu fördern, vermittelte ihm sein Vater eine Praktikantenstelle beim Reichskammergericht in Wetzlar. Bei dieser Tätigkeit eignete er sich allerdings weniger spezifische Kenntnisse an, sondern beobachtete in erster Linie die fehlende Leistungsfähigkeit dieser Institution und den gigantischen Bearbeitungsstau. Und damit war die juristische Ausbildung Goethes dann auch beendet.

Das Beamtentum machte die Dichtung erst möglich

Die Rechtswissenschaft hat Goethe allerdings weiter beeinflusst, sie bildete eine Basis seines Lebens. Goethe wurde vom Herzog von Weimar Carl August als Mitglied seines Consiliums und als Minister in verschiedenen Funktionen berufen. Diese Stelle erhielt Goethe, weil "die Chemie stimmte", aber natürlich auch aufgrund seiner juristischen Kenntnisse.

Ihm oblag nun die Führung der Verwaltung eines kleinen, aber doch komplexen Herzogtums. Dabei wirkte er gestaltend, beaufsichtigte Einrichtungen und formulierte Gesetze, bereitete aber auch Investitionen vor und sanierte den Haushalt. Diese Tätigkeit erfüllte er offensichtlich zufrieden stellend. Anders dürfte es kaum zu erklären sein, dass er vom Herzog weiterbeschäftigt wurde, obgleich er seine Arbeit recht spontan, und gleich für mehrere Jahre für seine Reise nach Italien unterbrach. 1825 wurde sogar sein Goldenes Dienstjubiläum festlich begangen.

Man ließ ihm auch genug Zeit für sein dichterisches Schaffen. Es war diese gut bezahlte Tätigkeit, die das literarische Werk Goethes überhaupt ermöglichte. Damals war es insbesondere aufgrund des geringen Schutzes des Urheberrechtes schwierig, den Lebensunterhalt allein durch literarische Arbeit zu sichern.

Diese Sorgen hatte Goethe nicht. Sein Lebensunterhalt wurde vom Herzogtum finanziert, die Einkünfte aus der Dichtertätigkeit erlaubten ihm einen gehobenen Lebensstil.

Zwei Seelen ach in seiner Brust? - Juristische Einflüsse in Goethes Werk

Durch das dichterische Schaffen Goethes zieht die rechtswissenschaftliche Sichtweise sich wie ein roter Faden. Er schildert nicht nur in seiner Autobiographie Dichtung und Wahrheit seine juristische Ausbildung durchaus positiv.

In verschiedenen Werken (zum Beispiel Wilhelm Meisters Wanderjahren und den Maximen und Reflektionen) beschäftigt Goethe sich umfassend mit rechts- und staatstheoretischen Fragen. In Faust II schildert er die Machtlosigkeit der Justiz, aus den kaiserlichen Rechten an den Schätzen in der Erde wird ein Finanzierungssystem entwickelt - das Papiergeld.

Und wer kennt nicht die Szene im Faust I , in der Faust klagt, dass er trotz Studiums der Juristerei ein armer Tor geblieben sei. Und der Pakt, den Faust mit dem Teufel schließt, ist immerhin eine schriftliche Vereinbarung, die Leistung und Gegenleistung, vor allem die Bedingungen für den Verlust der Seele Faustens an den Mephistopheles, fein ausarbeitet.

Das gesamte Werk (I und II) schildert den Vollzug dieser Vereinbarung. Dass der Mephisto-pheles doch nicht zu seinem Recht kommt, ist dann am Schluss dem Eingreifen des Himmels geschuldet, weil dessen  "Wette" mit Faust höherrangig ist als die Vereinbarung zwischen Faust und Mephistopheles. Es gibt sicherlich noch viel mehr Beispiele für eine juristische Herangehensweise in Goethes Gesamtwerk.

Gleichzeitig bescheinigt Goethe den Rechtsgelehrten, "meist einen abstrusen Stil zu pflegen" (Dichtung und Wahrheit II, 7). Kokettiert er damit, kein solcher zu sein? Oder damit, dass er zwar Rechtsgelehrter ist, aber zu den Ausnahmen gehört? Man müsste ihn wohl direkt fragen.

Der Autor Ass. jur. Anton Kumanoff ist für eine international ausgerichtete Unternehmensberatungsgesellschaft tätig. In seiner Freizeit beschäftigt der bekennende Goethe-Fan sich u.a. mit den deutschen Klassikern.

Zitiervorschlag

Anton Kumanoff, Johann Wolfgang von Goethe: Der Rechtsgelehrte, der keiner sein wollte . In: Legal Tribune Online, 26.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1799/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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