Feuilleton: "I see there has been a famine in the land"

von Martin Rath

06.11.2016

Auf einen Schriftsatz lässt sich eine Replik verfassen, ob er klug ist oder dumm. Welche Antwort bekommt aber ein Bundesrichter auf seine Assoziationen zum Thema Hunger? – Einen Versuch.

In Deutschland finden sich rund 13.500 in Vereinen organisierte Modell-Eisenbahner, verrät uns das offizielle Verzeichnis der beim Bundestag gemeldeten Lobby-Verbände. Das sind nicht viele Menschen, die ihre auf Spanholzplatte gebannte Weltherrschaft pflegen. Schon in den 1950-er Jahren gab es z.B. mehr Rechtsanwälte als Vereinsleute kleinstspuriger Eisenbahnbetriebe heute.

Wir erwähnen das, weil wir uns in jüngster Zeit häufiger beim Blick in die "StaZ" ertappen, einer 1922 gegründeten "Zeitschrift für das Standesamtswesen". Sollte etwa ein Modelleisenbahner auf den naheliegenden Gedanken kommen, seinem Kinde den Vornamen "Bahnchef" zu geben – Rundfunk und Fernsehen machten ihn ja recht populär –, würde der juristisch versierte Standesbeamte in diesem Blatt nachschlagen.

Als das Amtsgericht Darmstadt z.B. im Jahr 1936 verfügte, dass einem 1931 geborenen Kind der Vorname "Lenin" wieder zu entziehen sei, fand der Beschluss in der "StaZ" die gehörige Aufmerksamkeit.

Kinder sollten "Bundesrichter" heißen dürfen

Dass junge Eltern versuchen, ihrem Kinde den Vornamen eines mit Glaubenseifer verehrten Solitärmenschen anzuhängen, ist bekanntlich nie ganz aus der Mode gekommen. Dem Studentenführer Rudi Dutschke und seiner Gattin gefiel es beispielsweise, ihrem Sohn den Namen "Che" zu geben – nach Ernesto "Che" Guevara, einem argentinischen Guerillaführer, der sich auch sehr um die Sache der Homosexuellen auf Kuba bemüht hatte.

Nun mögen es zwar die 13.500 organisierten Modelleisenbahner nicht schaffen, einem ihrer Sprösslinge den schönen Vornamen "Bahnchef" angedeihen zu lassen. Anwälte z.B. sind viel zahlreicher, es finden sich  schon über 160.000. Sollte da, unter uns Solitärmenschen, einer seinem Kinde das neue Vornamensangebot "Bundesrichter" machen wollen: Die "StaZ" würde sich der Rechtsfragen annehmen.

Hunger unter Strafe stellen? – Gute Idee!

In der Gesetzgebung zum Strafrecht werde seit langem viel modisches Chichi betrieben, lesen wir in der Zeit, es leide der Börsenverein des deutschen Buchhandels unter moralischer Schlaffheit bei der Vergabe seiner "Friedenspreise". Derlei lasse sich austreiben, indem man an den Hunger in der Welt denke bzw. indem man im Gedankenspiel die strafrechtliche Zurechenbarkeit der für den Welthunger Verantwortlichen prüfe.

Wenn wir die brav verlinkte Idee nicht hinreichend wiedergeben, bitten wir um Entschuldigung. Der Journalist an sich leidet ja manchmal unter einem kleinen Kopf. Allzu manieristisch-verzwickte Ausführungen passen dort einfach nicht hinein.

Ein Gedankenspiel, das für den Hunger in der Welt kausale Tun/Nichttun in juristischer Methode einem strafrechtsunterworfenen Subjekt zuzurechnen, findet aber unseren Beifall. Systematische Rechtsgutsverletzungen haben ja gute Chancen, abgeurteilt zu werden, wenn ihre Konjunktur nachlässt oder die Verbrecher aussterben.

Vorsicht ist verständlich, denn Gerichte haben keine Truppen, wie US-Präsident Andrew Jackson (1767–1845, Democratic Party) einst feststellte, als er wider seinen Supreme Court die Cherokee in den Hungertod treiben ließ.

Dem Bundesgerichtshof gefällt es wieder, mutmaßliche KZ-Mordgehilfen zu verurteilen, seit es keine mehr gibt. So ist das mit den großen Vorgängen der Weltläufte. Auch den Welthungerverantwortlichen könnte das Schicksal zunehmender Strafhaftung bei abnehmender Delinquentenzahl drohen – es bestehen nach Stand des "Welthunger-Index" durchaus Chancen, dass weniger Menschen hungern. Vielleicht dünnt das die Reihen der zurechenbar Verantwortlichen soweit aus, dass man sie irgendwann vor Gericht stellen kann.

"I see there has been a famine in the land"

Dass die Zurechenbarkeit hier aber ein schwieriges Problem ist, belegt schon ein berühmter Schlagabtausch zwischen Gilbert Keith Chesterton und George Bernard Shaw. Chesterton, ein Mann von barocker katholischer Leibesfülle, Shaw ein sozialistisch-irischer Hungerhaken zueinander: "Chesterton: I see there has been a famine in the land. – Shaw: And I see the cause of it."

In ihrem Buch "Politik des Schweigens" haben André Glucksmann und Thierry Wolton 1987 zu zeigen versucht, wie das sozialistische Regime in Äthiopien die Gelder aus der internationalen Hungerhilfe für eine dem Hunger förderliche, ja genozidale Politik in seinem Land verwendet haben soll.

Das Geld kam, gesammelt von eifrigen Pop-Musikern und von Kindern mit Spendendose auch in deutschen Fußgängerzonen, aus unseren Breitengraden. Bob Geldof, ein Fall für Den Haag? Wer ist schuld am Leid? Lebenslustige, fette Bürger oder sozialistisch-moralistische Hungerhaken?

Und, nicht zu vergessen:  Gaben die für "Live Aid" zugunsten Äthiopiens Spenden sammelnden Kinder des Jahres 1984/85 ein Beispiel für ein ermessensfehlerhaftes Polizeihandeln? Hätte derlei nicht als Gefahr für die öffentliche Sicherheit der Menschheit verboten werden müssen?

Zitiervorschlag

Martin Rath, Feuilleton: "I see there has been a famine in the land" . In: Legal Tribune Online, 06.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21064/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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