Rechtsgeschichten: Mord an einem Lib­ret­tisten

von Martin Rath

30.12.2012

"Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren" –  den Titel kennt auch, wem die Operette eher fremd bleibt. Geschrieben hat dieses und andere populäre Lieder ein promovierter Jurist, Fritz Löhner-Beda. Obwohl Juristen künstlerisch beschlagene Zunftgenossen gerne rühmen, ist der Librettist Löhner-Beda weitgehend vergessen – vielleicht, weil er vor 70 Jahren ermordet wurde. Ein Erinnerungsstück von Martin Rath.

Gut möglich, dass er als Jurist keine große Leuchte war. 1908 wurde Fritz Löhner-Beda in Wien promoviert, damals als kulturelles Zentrum gleichsam das New York Mitteleuropas, Hauptstadt der k.u.k. Monarchie Österreich-Ungarn. Wer juristische Doktorarbeiten aus dieser Zeit kennt, weiß, dass heutige Masterarbeiten oft an Umfang stärker, nicht selten auch an Qualität reicher sind. Ein akademischer Leistungsvergleich lässt sich im Fall von Dr. iur. Fritz Löhner-Beda nicht anstellen, ist seine Promotionsschrift doch offenbar verloren gegangen.

Bekannt wurde Fritz Löhner-Beda, geboren am 24. Juni 1883 als Bedrich (also: Friedrich) Löwy, als ein Held des österreichischen Fußballs – berühmt jedoch als Librettist, dessen Texte von heute noch bekannten Komponisten wie dem berühmten und eigentlich doch eher berüchtigten Franz Lehár (1870-1948) vertont wurden.

Wann wurde je ein promovierter Juristen-Weltstar so vergessen?

In den 1910er- und 1920er-Jahren war die Operette so populär wie die Erzeugnisse der Musical- und Pop-Industrie heute zusammengenommen. Die Stars der Bühne, prominente Komponisten und Texter wurden jedoch nicht in London oder New York gemacht, sondern in Wien und Berlin. Populäre Stücke überquerten den Atlantik noch in Ost-West-Richtung, nicht umgekehrt.

Fritz Löhner-Beda wurde, nach kurzem Intermezzo in einer Wiener Rechtsanwaltskanzlei zu einem der bekanntesten und bestverdienenden Texter dieser "goldenen Operetten-Epoche". Als Mittelfeldspieler und späteres Vorstandsmitglied des erstklassigen jüdischen Sportvereins Hakoah Wien, dem es 1923 als erstem kontinentaleuropäischen Fußballverein gelang, ein englisches Profi-Team zu bezwingen (mit einem 5:0 gegen West Ham United) war Löhner-Beda auch unter Musikverächtern bekannt.

1928 bedrängen Löhner-Beda und Ludwig Herzer den Komponisten Franz Lehár ihr Libretto für eine Goethe-Operette zu vertonen. Letzterer sträubt sich zunächst, später entsteht jedoch "Friederike", die das Liebesleid des Straßburger Jurastudenten Johann Wolfgang Goethe aufgreift. Ein semifiktionaler Stoff, von dem einerseits zwar die Berliner Presse schwärmt, man wisse gar nicht, wo Goethe aufhört und Löhner-Beda anfängt, andererseits protestieren deutschnationale und antisemitische Kulturwächter, weil ihr vergötterter Goethe zur liebesweinerlichen Figur einer Operette entwürdigt werde. Dass die Tränen des verliebten Jurastudenten aus Goethes autobiografischen Aufzeichnungen stammten, war ihnen entgangen.

Das titelgebende Lied des seit 1927 aufgeführten Singspiels "Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren", Libretto von Löhner-Beda und Ernst Neubach, brachte es 1925 bereits zum populären Schlager.

Ein zunächst erfolgloses Stück wurde in der Bearbeitung von Löhner-Beda und Ludwig Herzer, Musik von Franz Lehár, 1929 ungemein populär: "Das Land des Lächelns", die Arie "Dein ist mein ganzes Herz" ist bis heute ein Gassenhauer der Operettenmusik geblieben.

Künstlerische Gleichschaltung mit dem Reichskulturkammergesetz

Dass von den Andrew Lloyd-Webbers der 1920er-Jahre heute bestenfalls Franz Lehár noch einen Namen hat, während Löhner-Beda weitgehend vergessen wurde, hat seine Gründe in der deutschen Gesetzgebung der 1930er-Jahre sowie dem Kunstgeschmack eines Wiener Postkartenmalers, den ein verantwortungsloses Staatsoberhaupt 1933 zum Regierungschef des Deutschen Reichs ernannte.

Mit dem Reichskulturkammergesetz vom 22. September 1933 (Reichsgesetzblatt I, 661) erließ die Reichsregierung auf Grundlage des berüchtigten Ermächtigungsgesetzes vom 24. März 1933 (RGBl. I, 141) eine beinah groteske Blankettnorm, die über ihren ersten Paragrafen hinaus kaum konkreter wurde: "Der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda wird beauftragt und ermächtigt, die Angehörigen der Tätigkeitszweige, die seinen Aufgabenkreis betreffen, in Körperschaften des öffentlichen Rechts zusammenzufassen."

Damit wurden nicht nur Schriftsteller und Journalisten "gleichgeschaltet" (§ 2 Nrn. 1 und 2 "Reichsschrifttumskammer" und "Reichspressekammer"), auch die Künstler aller Sparten wurden zwangsverkammert (u.a. Nr. 5 "Reichsmusikkammer"). Jüdischen Publizisten und Künstlern wurde damit, wenn nicht die künstlerische Arbeit in der Öffentlichkeit überhaupt, so doch die Möglichkeit abgeschnitten, von ihrer Kunst zu leben.

Die populäre Operettenmusik war bis dahin so weitgehend von jüdischen Künstlern bestritten worden, dass sich der politisch verantwortliche Propagandaminister Joseph Goebbels in kleinem Kreis über den Regulierungseifer der Juristen seiner Kammern mokierte – würden sie so weitermachen, bliebe bald nur noch germanische Runenmalerei. Den Willen seines Herrn exekutierte er daher gerne, als es darum ging Franz Lehár die weitere künstlerische und wirtschaftliche Existenz zu garantieren. Der Komponist war mit einer Jüdin verheiratet, doch war die "Lustige Witwe", die von Lehar nach dem Libretto der jüdischen Autoren Victor Léon und Leo Stein 1905 vertonte Operette, Hitlers Lieblingswerk.

Die Werke Fritz Löhner-Bedas erhielten diese allerhöchste Protektion im "neuen Deutschland" zwar nicht, waren aber auch in Großbritannien und den USA bestens bekannt. Bis zum Anschluss Österreichs im Frühjahr 1938 blieb der Librettist ein freier Mann.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Rechtsgeschichten: Mord an einem Librettisten . In: Legal Tribune Online, 30.12.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7873/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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