Jugendstrafrecht für Erwachsene: Kreativer strafen

von Dr. Philip von der Meden

21.07.2014

Vor kurzem kam aus Nordrhein-Westfalen wieder der Vorschlag, Steuersünder mit Fahrverboten zu bestrafen. Das ist kein Populismus, sondern ein richtiger Ansatz, meint Philip von der Meden. Eine souveräne Gesellschaft muss sich nicht auf Monate, Jahre und Tagessätze beschränken. Warum nicht die wirtschaftlichen Fähigkeiten eines Steuerhinterziehers einer sozialen Einrichtung zur Verfügung stellen?

Die Geschichte der Kriminalstrafe ist die Geschichte des Selbstverständnisses des staatlichen Souveräns gegenüber der von ihm beherrschten Gesellschaft. Sie ist bis heute zunächst eine Geschichte der Gewalt. Der Souverän straft, um seinen Machtanspruch durchzusetzen und seine Vorherrschaft zu bekräftigen. Wer sich nicht an die vom Souverän vorgegebenen Normen hält, verletzt damit nicht nur Rechtsgüter. Er greift auch die Vormacht derjenigen Institution an, die für sich das Monopol der Normsetzung in Anspruch nimmt.

Doch nicht nur die Definition dessen, was strafwürdig ist, sondern auch die Bestimmung des Strafübels, ist Ausdruck des Selbstverständnisses des Souveräns. Der Umgang mit dem Rechtsbrecher verrät dabei vielleicht mehr über den Souverän als dessen Definition des Erlaubten und Verbotenen.

Strafrecht freiheitlicher Demokratien wird bescheiden

Für den absolutistischen Herrscher ist Strafe noch Körperstrafe. Sie geht bis zur physischen Vernichtung des faulenden Teils im Leviathan. In der Herrschaft über den beseelten Leib rekonstituiert der Herrscher von Gottes Gnaden die Geltung seiner Norm. Als irdischer Verwalter des göttlichen Willens darf er über die Normunterworfenen vollständig verfügen. Es gibt keinen letzten Rückzugsort des Privaten, der dem Herrscher in seinem alles vereinnahmenden Machtanspruch entzogen wäre. Jeder Normbruch stellt den Souverän in Frage.

In den freiheitlichen demokratischen Rechtsordnungen ist das anders. Ist das Volk selbst zum Souverän geworden und basiert die Legitimität staatlicher Gewalt auf der Zustimmung des Einzelnen, wird der Normbruch zum performativen Selbstwiderspruch. Der Strafrichter ist jetzt nicht mehr der verlängerte Arm Gottes, sondern der praktisch werdende Widerhall der Vernunft des Rechtsbrechers.

Die Sanktion geht deshalb – zumindest in der Theorie – nie weiter als bis zum Grund ihrer selbst: Der Kern sittlicher Selbstbestimmung darf auch in der schärfsten Sanktion nicht vernichtet werden. Das Strafrecht wird bescheidener. Es überlässt dem Einzelnen im Ausgangspunkt die Definition der für ihn geltenden Normen, solange das darauf basierende Verhalten mit den Freiheitsrechten der anderen vereinbar ist.  Nicht jeder Normbruch ist jetzt noch Rechtsbruch. Und kaum ein Rechtsbruch richtet sich noch direkt gegen den Souverän.

Monate, Jahre und Tagessätze: die Währung der Vergeltung

Die Strafe des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats ist deshalb die Freiheitsstrafe. Der Begriff ist vielsagender als es auf den ersten Blick scheinen mag. Nicht Gefängnisstrafe heißt es, sondern Freiheitsstrafe. Freiheitsstrafe ist der Versuch, der inneren Freiheit eine äußere Grenze zu setzen. Denn natürlich nimmt ein humaner Strafvollzug dem Verurteilten nicht die Fähigkeit zur Selbstbestimmung. Aber er beschneidet genauso offensichtlich massiv dessen praktische Handlungsmöglichkeiten. Dabei setzt sich der Souverän jedoch in seiner Machtausübung über den Einzelnen selbst eine Grenze. Er achtet die innere Freiheit des Einzelnen. Er achtet die Menschenwürde.

Die Verletzung der Norm wird primär als fehlgeleitete Deliberation des Einzelnen verstanden. Weil der Souverän – damit er mit der Möglichkeit zur Selbstbestimmung seine eigene Grundlage nicht verleugne – die innere Freiheit unangetastet lassen muss, weicht er auf die äußere Freiheit aus. Er tut dies auf wenig differenzierte Weise. So bunt die Lebenssachverhalte sind, die Strafnormen erfassen, so eintönig ist die Rechtsfolge der Freiheitsstrafe.

Weil als gemeinsamer Grund aller Straftaten nach freiheitlichem Verständnis bloß die fehlgeleitete Freiheit selbst übrig bleibt, kann die Übelzufügung als Teil der Rechtsfolge in jedem Fall qualitativ identisch sein. Immer ist sie im Kern bloß symbolischer Natur. Sie will verzweifelt bemessen, in welchem Grad die Freiheit des Straftäters irr gegangen und die der anderen verletzt hat. Monate, Jahre und (im Fall der Geldstrafe) Tagessätze werden zur Währung der Vergeltung.

Zitiervorschlag

Dr. Philip von der Meden, Jugendstrafrecht für Erwachsene: Kreativer strafen . In: Legal Tribune Online, 21.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12629/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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