Gerichtsjournalismus: Die Justizseifenoper

von Martin Rath

02.02.2014

Unter dem Pseudonym Maximilian Jacta publizierte der Marburger Strafrechtsprofessor Erich Schwinge seit den 1960er-Jahren eine Reihe populärer Justizgeschichten. Für dieses Genre sind sie durchaus typisch und prägen den Blick auf die juristische Praxis vielleicht mehr als jede rechtswissenschaftliche Abhandlung.

"Ein Schriftsteller namens Adolf Brand, 32 Jahre alt, beruflich gescheitert, Winkeljournalist, wegen Beleidigung und Verbreitung unzüchtiger Schriften mehrfach vorbestraft", in dürren, aber bösen Worten beschreibt Erich Schwinge (1903-1994), Strafrechtsprofessor in Marburg, die Nebenfigur in einem der großen Justiz-Dramen des 20. Jahrhunderts, der sogenannten "Harden-Eulenburg-Affäre". Als vormaliger Kriegsgerichtsrat – Ankläger in einer Reihe von Prozessen gegen Wehrmachtsangehörige, die teils mit Todesurteilen endeten – mag Schwinge in dieser scharfen Personenbeschreibung geübt gewesen sein.

In den 1960er- und 1970er-Jahren wurden Schwinges Erzählungen zu den großen Justizereignissen der Vergangenheit und aus aller Herren Länder – die Prozesse gegen Al Capone oder Oscar Wilde zählen beispielsweise zu seinem Repertoire – in großer Auflage unters Volk gebracht. Stilistisch sauber und auch – soweit das unsere Stichprobe hergibt – inhaltlich nicht wirklich überholt, sind diese Justizerzählungen nach wie vor lesenswert. Umstritten war Professor Schwinge auf anderem Parkett.

Harden-Eulenberg-Affäre – Skandal des Unpolitischen

Philipp Fürst zu Eulenburg (1847-1921), vordem enger Freund und Vertrauter von Kaiser Wilhelm II. (1859-1941), kam über eine Pressekampagne zu Fall, die der Journalist Maximilian Harden (1861-1927) gegen ihn und weitere Angehörige eines Netzwerks rund um den preußisch-deutschen Monarchen vor allem mit den Mitteln der Gerichtsöffentlichkeit in Gang setzte. Zwei Vorgaben des Gesetzgebers machten die böse Justiz-Seifenoper, die sich über die Jahre 1906 bis 1909 hinzog, möglich: die Strafbarkeit auch konsensualer homosexueller Handlungen unter erwachsenen Männern und die strafprozessuale Regel, nahezu alle Zeugenaussagen vor Gericht beeiden zu lassen, selbst wenn sie das engere Erkenntnisinteresse des Verfahrens nicht betrafen.

Hardens Methode stützte sich auf diese Vorgaben. Hatte er adelige Offiziere und Beamte aus dem weiteren oder näheren Umfeld des Kaisers öffentlich homosexueller Umtriebe bezichtigt, konnte er – anwaltlich recht effektiv beraten – in den anschließenden Strafprozessen gegen seine Person höchst prominente Zeugen aus ebenjenem Netzwerk befragen lassen. Dazu bediente sich Harden in einem Fall seines Kollegen Adolf Brand, für den Schwinge die eingangs zitierten bösen Worte fand. Eulenburg machte in diesem Prozess den Fehler, sich selbst als Zeuge unter Eid von jeder sexuellen Verfehlung freizusprechen. Diese – nicht entscheidungserhebliche Aussage – konnte Harden für ein anschließendes Meineid-Verfahren gegen Eulenburg nutzen, entsprach sie doch nachweislich nicht der Wahrheit.

Vorteilhafte Verfremdungseffekte älterer "PC"

Der Fall aus dem Buch Maximilian Jacta/Erich Schwinge soll hier nicht nacherzählt werden. Bemerkenswert ist, dass er – in den 1960er-Jahren publiziert – in der juristischen Sache selbst sowie in der publizistischen Darstellung keine erkennbaren Abweichungen zu jüngeren Fallerzählungen der gleichen Angelegenheit aufweist. Einen Vorteil hat die ältere Erzählung dennoch: Die historisch-moralische Wertung ist dem heutigen Leser tendenziell fremd. Jacta/Schwinge lässt – trotz relativer Nüchternheit im Urteil – beispielsweise anklingen, dass Hardens äußerst unfeine Publizistik in der Summe ein Dienst am Vaterland gewesen sei, weil sie doch den Hofstaat Kaiser Wilhelms von zweifelhaften Personen befreit habe.

Diesem gnädigen Urteil von Jacta/Schwinge wird man heute nicht mehr folgen wollen: Die zentralen, politischen Figuren des Deutschen Reichs, einem aufstrebenden, modernen Staat, der vor wirtschaftlicher und militärischer Kraft strotzte, mussten sich mit einer sexualstrafrechtlichen Seifenoper auseinandersetzen, während es an kritischer Publizistik in eigentlich politischen Fragen fehlte. Gefehlt hat es jedenfalls, wie sich 1914 zeigte, am politischen, nicht am moralischen Hirnschmalz. Parallelen zur Gegenwart mag man ziehen. Und weil man heute so gern über sie schimpft: Bei Jacta/Schwinge kann man nachlesen, dass es zu Kaisers Zeiten auch schon so etwas wie Political Correctness gab. Nur war sie eben eher "rechts" statt "links".

Zitiervorschlag

Martin Rath, Gerichtsjournalismus: Die Justizseifenoper . In: Legal Tribune Online, 02.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10838/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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