Bis zum 31. Mai soll(t)en viele die Einkommensteuererklärung abgegeben haben. Doch wäre es leichter für alle, wenn man dem Staat den totalen Einblick in die eigenen Finanzen gäbe und Bargeldgeschäfte verboten würden, fragt sich Martin Rath?
Über die großen Stellschrauben gesellschaftlicher Veränderung wird in Deutschland selten oberhalb der Wahrnehmungsschwelle diskutiert, noch seltener lassen sich Querverbindungen herstellen. In einem vermutlich nicht ganz ernst gemeinten Kommentar zum sogenannten Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE), einem Konzept, dem es von Zeit zu Zeit in den unterschiedlichsten politischen Geschmacksrichtungen – als "Existenzgeld", "Bürgergeld" oder "negative Einkommensteuer" – gelingt, der allgemeinen Ignoranz zu entgehen, war folgender Gedanke zu entnehmen:
Um die von den Anhängern der BGE-Konzepte propagierten Einsparungen in der staatlichen Umverteilungsbürokratie zu leisten, könne man doch gleich allen Bürgern und Unternehmen ein Girokonto bei der Zentralbank unter Verbot aller anderen Zahlungsverkehrskonten einrichten – damit die BGE-Bezugsberechtigten ihr Existenzminimum direkt am Geldautomaten der Bundesbank abheben könnten. Zugleich erleichtere das den Steuereinzug enorm.
Bargeld abschaffen – eine Vorstufe zur Zentralwirtschaft?
Dieses etwas windige Gedankenspiel wäre keiner weiteren Mühe wert, hätte nicht jüngst ein Vorschlag aus prominentem Mund die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass die zentrale Überwachung voranschreitet, was die private Verfügung über Geld betrifft: Mitte Mai 2015 zog der Wirtschaftswissenschaftler Peter Bofinger, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, einigen öffentlichen Unmut auf sich, als er einer Abschaffung des Bargeldes das Wort redete, Münzen und Geldscheine zum Anachronismus erklärte und die Vorzüge der bargeldlosen Welt betonte, die in der Zurückdrängung illegaler Geschäftsaktivitäten und einer besseren Steuerung der Geldschöpfung durch die Zentralbanken liegen könnten.
Wirtschaftsweise finden in Deutschland natürlich nur so weit Gehör, wie der allgemeine ökonomische Sachverstand reicht. Sollten jedoch Sicherheitspolitiker und Polizeigewerkschaftsfunktionäre beim Thema Vorratsdatenspeicherung eines hässlichen Tages zufriedengestellt sein, könnte es ihre nächste große Aufgabe werden, mit Bofinger und anderen Ökonomen für die Abschaffung des Bargelds zu trommeln. Völlig unwahrscheinlich ist das nicht.
In Griechenland und Italien wurden bargeldlose Zahlungen von mehr als 1000 Euro auch aus Erwägungen der Kriminalitätsbekämpfung bereits verboten, in Belgien sind Käufe über mehr als 5000 Euro bargeldlos zu bezahlen. In Schweden, das traditionell kein Steuergeheimnis kennt und wo jedermanns steuerliche Bemessungsgrundlagen öffentlich eingesehen werden können, hat die Beseitigung des Bargelds besonders viele Anhänger – in Kirchen geht bereits der elektronische Klingelbeutel herum, Bankkaufleute erhoffen sich das Ende aller Banküberfälle.
Über die kriminielle Energie des 100 €-Scheins
Bei Supermarktkassierern und Strafverteidigern genießt die Frage, ab welchem Betrag Bargeld anrüchig wird, bereits gehörige Aufmerksamkeit. Die einen diskutieren über die kriminelle Energie, die einem 100-Euro-Schein innewohnen könnte, die anderen darüber, welche Ausweitungen der Straftatbestand der Geldwäsche, § 261 Strafgesetzbuch (StGB) erleben wird, wenn Bargeldgeschäfte noch stärker als bisher unter Generalverdacht gestellt werden.
Fraglich ist, ob die annäherungsweise bereits in Gang befindliche Politik einer Abschaffung, jedenfalls aber der größtmöglichen Zurückdrängung des Bargelds, neben der kritischen Aufmerksamkeit der Strafrechtspraktiker nebst grundrechtsbesorgter Verfassungsrechtler und Datenschützer nicht eine viel breitere Diskussion jenseits der Juristenzunft verdient.
2/2: Charakter des Geldes bestimmt Charakter der Arbeit
Hier sollen zumindest erste Hinweise gesucht werden, die aus der Dokumentation einer Sendereihe des Hessischen Rundfunks gezogen werden, welche in den 1980er Jahren herausgebracht wurde. Alt, aber heute wird derlei kaum noch produziert. Der Wirtschaftswissenschaftler Karl Häuser (1920-2008) klärte seinerzeit zum Beispiel in einem Beitrag unter dem Titel "Opfer und Steuer" über die wechselnden Legitimationsquellen auf, mit denen die Herrscher (proto-) staatlicher Organisationen einst ihren Appetit an Geld – im Sinne von Bargeld – befriedigten.
Wer in der antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Welt, in der Güter- und Dienstleistungen noch kaum über das Medium Geld ausgetauscht wurden, Abgaben auf Naturalien erhob, ähnelte dem Straßenräuber, wenn er einen zehnten Teil auf Ernte und Vieh verlangte, oder einem Sklavenhalter, wenn Dienste in Form von Fronarbeit abverlangt wurden. Mit dem Systemwandel gingen Legitimationsumbrüche von Recht und Herrschaft einher.
Heute sieht man das erst am gesellschaftlichen Rand. Dort, wo Menschen für ihre Existenzsicherung auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind, finden wir bereits jetzt im Herrschaftsbereich der Sozialbehörden öffentlich-rechtliche Beschäftigungsverhältnisse, die Züge der Fron haben und die am Markt nicht gefragte, zumeist lustlos verrichtete Tätigkeiten generieren.
Politische Opportunität arbeitet mit Zuckerbrot und Peitsche. Sollte mit einem totalen System der Bargeldlosigkeit eine Dynamik in Gang kommen, die nicht allein die Unterwerfung des Bürgers unter die Kontrolle seiner sämtlichen geldwerten Transaktionen verlangt, sondern auch in Form von großzügigen Transferleistungen der Bürger untereinander, verschiebt sich die Entscheidungshoheit darüber, in welche Aufgaben die Gesellschaft Arbeitsleistung investieren möchte, womöglich weiter in den politischen Raum.
Veränderung von Verteilungskämpfen
Der auf mittelalterliche Geschichte spezialisierte Historiker Hannes Möhring zeigte in seinem Beitrag zur "Kulturgeschichte der Steuer", dass eine Dynamik, die heute meist mit der Sektsteuer in Verbindung gebracht wird, bereits zu Zeiten der großen abendländisch-orientalischen Feldzüge existierte. Über rund 200 Jahre übten sich die Könige Frankreichs und Englands im Hochmittelalter darin, ihre Beteiligung an einem Kreuzzug nur anzutäuschen, um vom Papst die Lizenz zur Besteuerung von Gütern im Besitz von Klerikern zu erhalten, sich dann aber die bewaffnete Wallfahrt nach Jerusalem möglichst zu ersparen. Der englische König eroberte mit dem Geld lieber Wales, sein Kollege zog gegen die Ketzer in Südfrankreich.
Hier findet sich einerseits der oft an der Schaumweinsteuer illustriere Witz von der nicht mehr abgeschafften Steuerlast: Von Kreuzzügen ohne Steuerfinanzierung gerieten unsere westlichen Nachbarländer zu Steuerstaaten ohne Kreuzzüge. Um Besteuerung durchzusetzen, musste also ein überwältigend wichtiges politisches Ziel in Szene gesetzt werden. Der Umbruch der Geldwirtschaft, der sich heute abzeichnet, geht dahin, dass jede Transaktion im klaren Licht staatlicher Transparenzwünsche liegt. Es fragt sich, als wie belastungsfähig sich der demokratische Verfassungsstaat zeigen wird, wenn künftig die Inhaber staatlicher Macht ihre "Kreuzzüge" ohne große Umständemacherei finanziert bekommen sollten – oder jedenfalls mit dieser Vorstellung um politische Macht konkurrieren könnten.
Finanzbeamte könnten überflüssig werden
Mit Bargeld zu wirtschaften, soll, so ein erklärtes Ziel in verschiedenen europäischen Rechtsordnungen sowie einiger prominenter Wirtschaftswissenschaftler, noch stärker als bisher in den Geruch des Anstößigen kommen. Sollten die grauen und schwarzen Zonen der Wertschöpfung weitgehend zurückgedrängt werden, indem jede Währungseinheit effektiv unter Beobachtung von Zentralbank und Finanzamt gerät, kann das weitgehende Konsequenzen für die Organisation des Staatsbetriebs haben:
Wer benötigt, um es einmal persönlich zu nehmen, dann noch eine flächendeckende Versorgung durch Steuerjuristen und -berater, wozu würde es noch Finanzbeamte brauchen, wenn jeder Zahlungsverkehr einfach einer Umsatzsteuer unterworfen werden kann – ob man dies nun für die steuerbelasteten Mittelschichten durch ein egalisierendes "bedingungsloses Grundeinkommen" versüßt oder nicht? Über das möglicherweise bittere Schicksal der berühmten deutschen Steuerrechtsliteratur in einer Zukunft, in der Besteuerung allzu leicht fiele, möchte man gar nicht nachdenken.
Im juristischen Denken könnte die weitere Digitalisierung der ökonomischen Sphäre ebenfalls Folgen haben: Generationen von angehenden Juristinnen und Juristen machten sich Sorgen, ob sie im Staatsexamen die Finessen der Kondiktionsansprüche im Vierpersonenverhältnis nach fehladressierter Banküberweisung, §§ 816 ff. Bürgerliches Gesetzbuch, auf die Reihe bekommen. Was bliebe davon, wenn jeder Prozess dieser Art leichthin umkehrbar wäre?
Hinweis: Die Beiträge zur Sendereihe des Hessischen Rundfunks, verfasst von hochkarätigen Historikern und Ökonomen, erschienen 1986 als Sammelband unter dem Titel "Mit dem Zehnten fing es an. Eine Kulturgeschichte der Steuer", herausgegeben von Uwe Schulz.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Der totale Überwachungsstaat?: Die Abschaffung des Bargelds . In: Legal Tribune Online, 31.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15690/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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