Wenn Juristen kopieren: Glanz und Elend des deut­schen Disser­tations­pla­giats

von Prof. Dr. Roland Schimmel

17.09.2015

2/2: Die Pseudologie des Plagiats

Interessant wird es, wenn die Verfasserin zu erklären versucht, warum an entscheidender Stelle keine Fußnoten und keine Anführungszeichen standen. Prüfungsrechtler wissen: Ist Voraussetzung für die Rücknahme eines Verwaltungsakts die Täuschung, kann der Kandidat immer darlegen, er habe gerade nicht täuschen wollen. Bei ungekennzeichneten Textübernahmen in einer Prüfungsarbeit braucht es hierfür aber angesichts des Fehlens der nötigen Quellenangaben schon eine stimmige Erklärung.

Die beanstandete Passage in der Dissertation, wohlgemerkt, war viereinhalb Druckseiten lang und einschließlich der Fußnoten mit kleinen sprachlichen Änderungen wörtlich übernommen. Gemessen an 165 Textseiten ist das eigentlich gar nicht viel. Mit Blick auf die im Prüfungsalltag immer wieder einmal diskutierte Bagatellgrenze hat die Universität hier geradezu einen Pflock eingeschlagen: 3 Prozent Plagiat reichen aus, jedenfalls wenn es um eine wortlautidentische Übernahme geht.

Erklärt hatte die Verfasserin das Ganze mit einem Klassiker: dem PC-Crash. Alle ihre Textmarkierungen einschließlich der wörtlich abgetippten Passagen seien nach dem Computerabsturz in der geretteten Textdatei in einer einheitlichen Farbe erschienen. Sie habe daher jeden einzelnen Schnipsel auf Übereinstimmungen mit den Quellen prüfen müssen – und da sei ihr der betreffende Abschnitt eben durchgerutscht, vermutlichen wegen der stilistischen Ähnlichkeiten zu ihrer eigenen Ausdrucksweise. Schlimm, in der Tat, aber doch ein ganz punktuelles Versehen. Die Universität hat das nicht gelten lassen und gleichwohl die Täuschungsabsicht bejaht.

One size fits all

Das wiederum ist kaum verwunderlich. Was hatte die Kandidatin nämlich falsch gemacht?
Sie hatte eine wichtige Regel verletzt, die da lautet: Du bekommst nur eine Chance zur Erklärung. Die Wirklichkeitsrekonstruktion, die man im Verfahren präsentiert, muss nicht nur alle Vorwürfe entkräften, die bereits erhoben worden sind, sondern auch diejenigen, die noch kommen können (one size fits all).

Die Universität war gut beraten, die Kandidatin nur mit einem kleinen, wenngleich gewichtigen, Teil der Abschreibevorwürfe zu konfrontieren. Und die Kandidatin war arbeitseffizient genug sozialisiert, um genau diesen Teil zu erklären. Und nur diesen.

Unglücklicherweise hatte sie aber nicht aus einer Quelle geschöpft, sondern aus mindestens  zehn. Nicht nur in der beanstandeten Passage ihrer Arbeit, sondern gleichmäßig über den Text verteilt auf Dutzenden Seiten, beginnend mit der ersten Zeile auf Seite 1. Um das herauszufinden, brauchte man nur BeckOnline oder Google Books. Da half es auch nicht mehr, dass die Verfasserin vortrug, sie habe die Arbeit mit einer Plagiatserkennungssoftware geprüft, die grünes Licht gegeben habe. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.

Vermutlich wäre die Arbeit für die nächsten Jahrzehnte unter dem Aufmerksamkeitsradar einer noch so winzigen kritischen Öffentlichkeit durchgesegelt, wenn die Verfasserin nicht auf gar so simple Weise den Vorwurf der Täuschung aus der Welt zu schaffen versucht hätte. Hier zeigt sich die elende Seite des Dissertationsplagiats. Aber das ist natürlich nicht das letzte Wort.

Die Ökonomie des Plagiats – und wer zuletzt lacht

Hat sich nun die Abschreiberin unter den gegebenen Umständen rational verhalten oder nicht? Vermutlich: ja. Durch das Verfahren bis zur Rechtskraft hat sie über zwei Jahre Zeit gewonnen. Bis die Universität – wenn überhaupt – die Aberkennungsentscheidung mit korrekt besetzter Kommission  wiederholt, wird ein weiteres Jahr vergehen, bis zur Rechtskraft des nächsten verwaltungsgerichtlichen Urteils noch ein wenig mehr.

Wirtschaftlich gesehen entspricht das einer wahrscheinlich fünfstelligen Summe, die sie unter den Entgeltbedingungen großer Anwaltskanzleien mehr verdient hat als ein nicht promovierter Kollege. Das dürfte die Prozesskosten bei einem Streitwert von 15.000 Euro auffangen.

Falls der Arbeitgeber ihr die Sache mit dem Plagiat übelnimmt, müsste auch die Zeit gereicht haben, einen Plan B zu entwickeln. Und falls sie – wie Jorgo Chatzimarkakis – das Promovieren als Ehrensache versteht, kann sie zwischendurch bei zügigem Vorgehen anderweitig promovieren. In Österreich etwa. Oder in der Schweiz. Es muss ja nicht immer ein akademisches Drittweltland sein.

Wir lernen: Crime does pay. Und: Glanz und Elend des deutschen Dissertationsplagiats liegen eng beieinander.

Der Autor Prof. Dr. Roland Schimmel ist Professor für Wirtschaftsprivatrecht an der FH Frankfurt am Main und Autor des Buchs "Von der hohen Kunst, ein Plagiat zu fertigen".

Zum Nachlesen:
Das Urteil findet man in den Fachdatenbanken: VG Berlin v. 8.7.2015, Az 12 K 423.14. Wer darüber hinaus in die Doktorarbeit einen Blick werfen möchte, muss ein wenig suchen. Der Urteilstatbestand ist natürlich anonymisiert, zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Verfasserin und ihrer Doktoreltern. Dahinter muss das Interesse der Wissenschaft zurücktreten, einen womöglich wertlosen Text in die Giftschränke der Bibliotheken umzusortieren oder auch nur kritisch zu diskutieren. Um aber die eigene Bibliothekskatalogrecherchekompetenz auf die Probe zu stellen, kann man es trotzdem versuchen. Alle nötigen Informationen stehen in Rn. 2 des Urteils.

Zitiervorschlag

Roland Schimmel, Wenn Juristen kopieren: Glanz und Elend des deutschen Dissertationsplagiats . In: Legal Tribune Online, 17.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16916/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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