Wenn Juristen kopieren: Glanz und Elend des deut­schen Disser­tations­pla­giats

von Prof. Dr. Roland Schimmel

17.09.2015

Ein neuer Plagiatsfall, ausgerechnet nicht nur im Recht, sondern im Urheberrecht, veranlasst die Uni Passau zu betroffenen Worten. Roland Schimmel über Soziologie, Pseudologie und Ökonomie plagiierender Rechtswissenschaftler.

Man hatte gedacht, das Thema sei durch. Oder wenigstens: Es müsse doch jetzt langsam mal durch sein. Es nervt ja auch ein bisschen. Die großen Messen in Sachen "Wissenschaftsplagiate" immerhin sind gelesen: Der Verteidigungsminister ("absurd!") ist nach USA verzogen, die Wissenschaftsministerin ("Ich werde kämpfen!") in den Vatikan entsorgt worden. Der eine als Diplomjurist, die andere ganz ohne Hochschulabschluss. Damit ist erstmal Ruhe im Kabinett. Naja, wer weiß? Es sind neue MinisterInnen nachgerückt.

Im Alltag des Wissenschafts- und Prüfungsgeschäfts an der Hochschule läuft die Plagiatsproduktion natürlich weiter. Anders als in der Politik sorgt aber im Wissenschaftsgeschäft ein noch so massiver Plagiatsvorwurf eher für ein vorübergehendes Erröten als für einen Karriereknick. Und jenseits prominenter Fälle bleibt das öffentliche wie auch das mediale Interesse unterhalb der Nachweisgrenze.

Während in den Naturwissenschaften das Fälschen von Daten oder das ungekennzeichnete Abschreiben fremder Texte dazu führt, dass der so entstandene Fachzeitschriftenbeitrag zurückgezogen wird (Register unter retractionwatch.com/), verfahren die juristischen Fachzeitschriften weitaus zurückhaltender. Die Juristische Schulung (JuS) hat letzthin einem Beitrag, der zur Hälfte aus unzitiert gebliebenem fremdem Text bestand, ein "Corrigendum" hinterhergeschickt, an beeindruckend unauffälliger Stelle versteckt auf den Umschlagseiten.

Aktuell trifft es die Juristenzeitung (JZ), wissenschaftlich gesehen eine erste Adresse. Die FAZ meldete am Dienstag, dass eine Professorin für Rechtsgeschichte in einem wissenschaftlichen Aufsatz für die JZ von einem Frankfurter Kollegen abgeschrieben haben soll. Aus der Publikation "Das Verhältnis zwischen Urheberrecht und Wissenschaft" soll Ulrike Müßig, Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht sowie Deutsche und Europäische Rechtsgeschichte abgeschrieben haben. Und zwar ausgerechnet u.a. die interessante Erkenntnis: "Der urheberrechtliche Begriff der Wissenschaft hat mit methodengerechter Wahrheitssuche und intrinsischer Wahrheitsliebe nichts zu tun."  Die JZ will den Beitrag von Müßig nach Angaben der FAZ in ihrem elektronischen Archiv sperren.

Die Universität Passau übrigens nimmt laut ihrer Webseite den ihr vorliegenden Hinweis auf ein wissenschaftliches Fehlverhalten sehr ernst. Und gibt aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes zu der  betroffenen Person, welche die Universität in vollem Umfang bei der Aufklärung der Angelegenheit unterstützt, keine Auskunft. Dafür muss man schon die FAZ lesen (Anm. d. Red.: Artikel online nur hinter der Paywall)

Nicht repräsentativ, aber informativ: ein aktuelles Urteil

So ein wenig ehrenrührig ist der Plagiatsvorwurf aber wohl doch, zumal wenn er zur Entziehung eines akademischen Grads führt. Manchmal ziehen also die ehemaligen Doktoranden vor die Gerichte. Die wiederum urteilen ziemlich einheitlich, indem sie die Aberkennungsentscheidungen der Universitäten bestätigen, normalerweise abschließend in erster Instanz. Die klagenden Ex-Doktoren können dann die mäßig ruhmvollen Einzelheiten ihrer Karriere in den Urteilen nachlesen, glücklicherweise anonymisiert.

Wer wissen möchte, wie das mit den Plagiatsvorwürfen diesseits der Politikerdemontage so läuft, muss sich nur diese Urteile ansehen. Greift man ein einziges aktuelles heraus (VG Berlin, Urt. v. 8.7.2015), ist Repräsentativität kaum zu erwarten, zumal angesichts des ungewöhnlichen Verfahrensausgangs. Aber ein kleines Schlaglicht auf den täglichen Plagiatsbetrieb lässt sich damit allemal werfen.

Die Soziologie des Plagiats

Was erzählen also die Urteilsgründe über Glanz und Elend des akademischen Plagiarismus? Zunächst nur Erfreuliches aus dem Lebenslauf der Doktorandin: Anfertigung der Dissertationsschrift während der Anstellung als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl des Doktorvaters, Promotion (summa cum laude knapp verfehlt), Veröffentlichung der Arbeit in einem erstklassigen Wissenschaftsverlag.

Aus dem Internet erfährt man: umgehend zitiert in der einen oder anderen Habilitationsschrift, Lehrauftrag an der Universität, Berufsstart als Richterin, Wechsel zu einem großen internationalen Anwaltsbüro, gelegentlich Fachveröffentlichungen. Kein völlig beispielloser Karriereeinstieg – aber doch auch keine juristische Verlierer-Biographie. Auch wenn man nie weiß, ob die Doktorarbeit conditio sine qua für diesen erfolgreichen Einstieg ins Berufsleben ist, zeigt sich hier doch, soziologisch gesehen, die glänzende Seite der Promotion.

Doch das Unvorhergesehene geschieht: Jemand liest die Doktorarbeit. Die Ähnlichkeiten zu einer anderen Dissertation fallen auf, werden notiert und dem promovierenden Fachbereich mitgeteilt. Dieser prüft die Beanstandungen, hört die Verfasserin an und entzieht ihr nach anderthalb Jahren Verwaltungsverfahren den Grad: Es fehlen Anführungszeichen und Fußnoten, das Übliche eben.

Die Verfasserin sieht es sportlich und erhebt Klage vor dem Verwaltungsgericht (VG). Dieses hebt die Entziehung des Grads nach einem weiteren Jahr wieder auf. Wegen Verfahrensfehlern - das kommt nicht oft vor, aber gelegentlich (ähnlich VG Karlsruhe, Urt. v. 21.1.2015, Az. 7 K 761/11). In der Kommission hatten nämlich vier Professoren gesessen, wie es die alte Promotionsordnung vorschrieb; nicht drei, wie die neue es regelte. Und bei nur drei Professoren hätte das Ergebnis anders ausfallen können, so das Verwaltungsgericht. Die Klägerin bleibt Doktorin des Rechts.

Vielleicht plagiieren Mädchen anders als Jungs?

Warum ist nun ein erstinstanzliches Urteil bemerkenswert, das noch nicht einmal besonders umfassend ausgefallen ist und vermutlich keine Rechtsgeschichte schreiben wird? Weil es durchaus amüsante Züge aufweist.

Die Kandidatin hat ausweislich des Urteilstatbestands argumentativ im Verwaltungsverfahren aus allen Rohren geschossen. Und zwar auf alles, was sich bewegt.

Nicht zuletzt war es ihr wichtig, wie die Kommission zusammengesetzt sein müsse, die über die Aberkennung ihres Grads zu entscheiden habe. Nicht nur müsse die Frauenbeauftragte beteiligt werden, sondern überhaupt sollten an der Entscheidung in ausreichendem Maße Frauen beteiligt sein. Vielleicht plagiieren Mädchen anders als Jungs. Oder es promovieren nicht genug Mädchen, also darf auch bei nachgewiesenem Betrug nicht einfach der Grad wieder aberkannt werden.

Außerdem dürfe an der Entscheidung kein studentisches Kommissionsmitglied beteiligt werden, da dieses selbst nicht promoviert sei. Womit völlig neue Perspektiven auf die studentische Beteiligung etwa an Berufungsverfahren eröffnet sind, da die wenigsten Studenten habilitiert sind. Diese Argumente nimmt das Gericht ernst, aber erledigt sie schlank, Gott sei Dank.

Zitiervorschlag

Roland Schimmel, Wenn Juristen kopieren: Glanz und Elend des deutschen Dissertationsplagiats . In: Legal Tribune Online, 17.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16916/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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