Der Solidaritätszuschlag: Nicht nur für den "Aufbau Ost"

von Dr. Tibor Schober

29.07.2013

Fast 23 Jahre nach der Wiedervereinigung wird die Finanzierung des "Aufbau Osts" wieder zum Wahlkampfthema. Aber nicht nur das: Der Bund der Steuerzahler unterstützt eine Klage gegen den Soli vor dem FG Niedersachsen, das das Verfahren erneut dem BVerfG vorlegen will. Auf Erstattungen sollten sich Steuerzahler aber besser nicht einstellen, meint Tibor Schober, der Soli ist verfassungskonform.

Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen scheint fest von seiner Sache überzeugt. Bereits einmal hatte es das Verfahren gegen den Solidaritätszuschlag dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgelegt, weil es an der Verfassungsmäßigkeit der Steuer zweifelt (Beschl. 25.11.2009, Az. 7 K 143/08). Karlsruhe verwarf die Vorlage damals als unzulässig, die Finanzrichter hätten sich nicht ausreichend mit der Rechtsprechung des BVerfG zur damaligen Ergänzungsabgabe befasst. Das FG hat sich nun weitere drei Jahre mit der Sache befasst und will im selben Verfahren noch einmal vorlegen.

Der Solidaritätszuschlag von heute 5,5 Prozent wird seit 1995 erhoben. Er ist eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und zur Körperschaftsteuer im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 Grundgesetz (GG). Die entscheidende Frage ist daher, ob der Solidaritätszuschlag tatsächlich noch eine "ergänzende" Abgabe ist oder ob er mittlerweile eigenständig auf Dauer erhoben wird. Man kann nun vortrefflich streiten, ob die Deutsche Einheit vollendet ist oder nicht, ob ca. 13,6 Milliarden Euro über 18 Jahre nur eine Bedarfsspitze abdecken oder eher eine dauerhafte Abgabe.

Soli muss nicht den "Aufbau Ost" finanzieren

Das Wort "Ergänzung" im Grundgesetz wird die Antwort wohl kaum geben können. Diese muss auf der politischen Bühne nach der Wahl im September gefunden werden. Die Einheit Deutschlands hat damit weniger zu tun, als viele glauben. Karlsruhe wird jedenfalls mangels klarer Vorgaben im Verfassungstext wohl wieder nicht in der Sache entscheiden.

Das FG hatte in seiner ersten Vorlage Gesetzgebungsmaterialien aus den 50er Jahren herangezogen. Aus der Gesetzesbegründung zum verfassungsändernden Gesetz von Mai 1954 lässt sich entnehmen, dass "die Ergänzungsabgabe (...) dazu bestimmt (ist), anderweitig nicht auszugleichende Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt zu decken (und dem Bund) in begrenztem Rahmen eine (…) dem jeweiligen Haushaltsbedarf angepasste Finanzpolitik zu ermöglichen". Die Finanzrichter stützten ihre Vorlage außerdem auf die Begründung für eine einfachgesetzliche Ergänzungsabgabe von 1955. Zwar wurde diese Abgabe nie Gesetz, aber in den Materialien wurde die geplante Abgabe dahingehend konkretisiert, dass sie "keineswegs für die Dauer, sondern lediglich für Ausnahmelagen bestimmt ist".

1973 hatte das BVerfG entschieden, dass die Verfassung nicht vorschreibt, dass eine Ergänzungsabgabe von vornherein befristet ist. Mit einer modernen Finanzplanung sowie Haushalts- und Konjunkturpolitik sei es außerdem nicht vereinbar, wenn eine Ergänzungsabgabe nur punktuell als Ausgleich für Bedarfsspitzen dienen darf. Die Entscheidung darüber, welche Aufgaben in Angriff genommen werden und wie diese finanziert werden sollen, gehöre zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, die sich einer Nachprüfung durch das BVerfG entziehe. Auf diese Gestaltungsfreiheit werden die Karlsruher auch bei einer erneuten Vorlage des FG Niedersachsen verweisen müssen.

Der Solidaritätszuschlag wurde zwar zur "Finanzierung der Vollendung der Einheit Deutschlands" eingeführt – so die Gesetzesbegründung – allerdings ist der Bundeshaushalt eine Einheit (sogenanntes Gesamtdeckungsprinzip). Gemäß § 7 S. 1 des Gesetzes über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder dienen alle Einnahmen als Deckungsmittel für alle Ausgaben. Der Bund ist nicht dazu verpflichtet, mit Mitteln aus dem Solidaritätszuschlag nur den "Aufbau Ost" zu finanzieren. Ein solcher Konnex wurde auch nicht im Solidaritätszuschlaggesetz 1995 verankert.

Bund kann sich Wegfall des Soli gar nicht leisten

Um es mit den Worten des BVerfG von 1973 zu sagen: "Die Finanzplanung muss (…) den Zielen der Gesellschafts-, Wirtschafts- und Sozialpolitik fortlaufend angepasst werden." Entstehen also  während des Laufes einer Ergänzungsabgabe neue Aufgaben, die nicht mit dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert werden können, sei die Fortführung dieser bestehenden Abgabe durchaus gerechtfertigt.

Geändert hat sich an dieser Feststellung nichts. Es spricht daher nichts dagegen, den Solidaritätszuschlag mit anderen, neuen Aufgaben zu rechtfertigen – etwa dem Atomausstieg, der Eurokrise oder dem Aufbau maroder Universitätsbauten.

Der Kampf des Steuerzahlerbundes oder der FDP gegen den Solidaritätszuschlag ist letztlich ein Scheingefecht. Die Finanzen des Bundes sind nicht so solide, dass ohne weiteres auf 13 Milliarden Euro verzichtet werden kann. Die Nettoneuverschuldung in 2012 lag nach Angaben des Bundesfinanzministeriums bei ca. 22,5 Milliarden Euro. Würde der Solidaritätszuschlag wegfallen, bräuchte es alternative Finanzierungsquellen. Eine Erhöhung der Einkommen- oder Umsatzsteuer müsste aber umfangreicher ausfallen als der Solidaritätszuschlag, da dem Bundeshaushalt davon nur circa die Hälfte zusteht – der Rest geht an Länder und Gemeinden. Bürgern und Unternehmen wäre daher damit nicht gedient.

Der Autor Dr. Tibor Schober ist Rechtsanwalt und Steuerberater in Berlin sowie Lehrbeauftragter an der Humboldt Universität.

Zitiervorschlag

Dr. Tibor Schober , Der Solidaritätszuschlag: Nicht nur für den "Aufbau Ost" . In: Legal Tribune Online, 29.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9233/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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