EU-Austritt: Dexit und Bayxit wären ver­fas­sungs­widrig

von Prof. Dr. iur. Mike Wienbracke, LL. M. (Edinburgh)

24.08.2016

Der Brexit könnte andere EU-Länder zum Gehen animieren. Immerhin: Die aktuelle deutsche Verfassung lässt einen EU-Austritt der Bundesrepublik ebenso wenig zu wie die Abspaltung eines einzelnen Bundeslands, erklärt Mike Wienbracke.

Im rechtlich nicht bindenden Referendum vom 23. Juni 2016 hatte eine Mehrheit von 51,9 Prozent der abstimmungsberechtigten Briten für einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU, den sogenannten Brexit, votiert. Während die schottische Regionalregierung hieraufhin bekanntgab, ihrerseits ein zweites Referendum über die Sezession von Großbritannien vorzubereiten (Scoxit), damit Schottland sodann als eigenständiger Staat nach Art. 49 Vertrag über die Europäische Union (EUV) gegebenenfalls der EU beitreten kann, werden derzeit insbesondere die Niederlande als weiterer potentieller Brexit-Nachahmer gehandelt.

Wäre neben einem etwaigen Nexit bei entsprechender politischer Stimmungslage auch ein Austritt der Bundesrepublik Deutschland aus der EU – und damit zugleich aus dem Euro-Währungsgebiet (Eurozone) – aber rechtlich überhaupt möglich? Und dürfte ein einzelnes Bundesland einseitig aus dem deutschen Bundesstaat austreten (zum Beispiel Bayern, Bayxit)?

Europarecht erlaubt EU-Austritt, Grundgesetz verbietet ihn

Nach Art. 50 Abs. 1 EUV kann jeder Mitgliedstaat aus der EU austreten. Europarechtlich ist dieses Austrittsrecht an keine materiellen Voraussetzungen geknüpft. Diese richten sich vielmehr nach den verfassungsrechtlichen Vorschriften des betreffenden Mitgliedstaats; lediglich das Austrittsverfahren ist in Art. 50 Abs. 2-4 EUV normiert. In diesem mithin freien, einseitigen Kündigungsrecht kommt die auch nach erfolgtem Beitritt zum europäischen Staatenverbund fortbestehende Souveränität der Mitgliedstaaten als Herren der europäischen Verträge zum Ausdruck, die hierdurch zunächst eingegangene Selbstbindung wieder umzukehren.

"Verfassungsrechtliche Vorschrift" im Sinne von Art. 50 Abs. 1 EUV ist aus deutscher Sicht Art. 23 Grundgesetz (GG). Dessen Absatz 1 Satz 1 bestimmt, dass die Bundesrepublik Deutschland unter den dort genannten Bedingungen zur Verwirklichung eines vereinten Europas bei der Entwicklung der EU "mitwirkt". Die europäische Integration Deutschlands steht daher keinesfalls im politischen Belieben der deutschen Staatsorgane, sondern es handelt sich hierbei vielmehr um ein durch den Verfassungsgeber vorgegebenes Staatsziel. Allerdings bedeutet "Mitwirkung" bereits dem Wortsinn nach nicht zugleich zwingend (Voll-)"Mitgliedschaft". Ein vereintes Europa vermag ohnehin nicht einseitig erzwungen zu werden.

Die Politik verfügt folglich über einen gewissen Gestaltungsspielraum dahingehend, wie sie den an sie gerichteten Verfassungsauftrag des "Ob" der Mitwirkung Deutschlands an der EU erfüllt. Jedenfalls ein völlig grundloser EU-Austritt wird aber im Schrifttum als Beispiel für einen Verstoß gegen Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG genannt (würden dessen Vorgaben kontinuierlich durch die EU missachtet, so bestünde umgekehrt hingegen gar eine Verfassungspflicht zu einem Austritt Deutschlands aus dieser). Wäre ein Dexit gleichwohl beabsichtigt, so müsste diese Bestimmung deshalb zuvor gem. Art. 79 GG geändert werden. Dies wäre nach dessen Absatz 2 mit einer Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat möglich, da Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG nicht von der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG geschützt wird.

Lägen die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Dexit vor,  so stellt sich die weitere Frage, wer für die Entscheidung über diesen actus contrarius zum ursprünglichen Beitritt, die ebenfalls der Verbandskompetenz des Bundes unterfällt, zuständig ist. Während der Bundespräsident den Bund nach Art. 59 Abs. 1 S. 1 GG völkerrechtlich lediglich repräsentiert, liegt die Zuständigkeit für die innerstaatliche Willensbildung im Bereich der auswärtigen Gewalt im Allgemeinen bei der Bundesregierung beziehungsweise bei Bundestag und Bundesrat. Speziell für den EU-Austritt wird ein in die Organkompetenz der beiden Letztgenannten fallendes verfassungsänderndes Gesetz nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG gefordert.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. iur. Mike Wienbracke, LL. M. (Edinburgh), EU-Austritt: Dexit und Bayxit wären verfassungswidrig . In: Legal Tribune Online, 24.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20364/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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