Die juristische Presseschau vom 7. Juli 2011: SS-Massaker folgenlos – Lebensmittel gekennzeichnet – Terrorprozess vor US-Gericht

07.07.2011

Die Nachfahren der Opfer eines Waffen-SS-Massakers bleiben ohne Entschädigung. Es fehle an einer Rechtsgrundlage in der Menschenrechtskonvention, so der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Außerdem in der Presseschau: die EU-weite Lebensmittelkennzeichnung, mehr Parteienfinanzierung, Neues um Strauß-Kahn und vieles andere.

SS-Massaker: Die Nachfahren der Opfer des Massakers der Waffen-SS im griechischen Distomo haben nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte keinen Anspruch auf Entschädigung, so neben der FAZ (Reinhard Müller) auch taz.de (Christian Rath). Nachdem die Verfahren vor deutschen Gerichten an der völkerrechtlichen Staatenimmunität und der fehlenden Reziprozität der Amtshaftungstatbestände gescheitert seien, habe der EGMR nun ebenfalls einen Anspruch abgelehnt. Einen Schadensersatzanspruch für das Unrecht von Vorgängerstaaten kenne die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht; auch das Eigentumsrecht oder das Diskriminierungsverbot seien nicht verletzt. Ein Ergebnis, mit dem sich Max Steinbeis (verfassungsblog.de) "nur schwer abfinden" kann.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Lebensmittel-Kennzeichnung: Wie die FAZ (Hendrik Kafsack) berichtet, hat das Europäische Parlament die EU-weite Kennzeichnung von Lebensmitteln mit Tabellen zum Fett-, Zucker-, Salz- sowie Kaloriengehalt beschlossen. Außerdem müsse die Verwendung von Analogkäse und Klebefleisch besonders hervorgehoben werden; irreführende Aufmachungen von Verpackungen würde nverboten. Nicht vorgeschrieben werde hingegen die von Verbraucherschutzorganisationen geforderte "Lebensmittel-Ampel"; Hersteller dürften sie aber freiwillig verwenden. In den Augen von Violetta Simon (sueddeutsche.de) ist die Lebensmittelindustrie "mal wieder davongekommen".

Türkei-Visa: Nach einer Expertise des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages seien die Visa-Regeln der Bundesrepublik für die Türkei rechtswidrig, so die SZ (Roland Preuß). Es verstoße gegen europäisches Recht, von Türken, die als Touristen oder für kurze Zeit als Dienstleister einreisten, überhaupt Visa zu verlangen. Dies sei aber in einem 1980 vereinbarten Assoziierungsabkommen zwischen EU und Türkei geregelt. Im kommenden Jahr sei hierzu mit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu rechnen.

CCS-Gesetz: Mit den Stimmen der Koalition werde heute voraussichtlich das Gesetz zur CO2-Speicherung ("Carbon Capture and Storage", CCS) verabschiedet, berichtet die FTD (Nikolai Fichtner). Dabei werde eine "Zukunftstechnologie begraben", weil die Erprobung derselben die Zustimmung der betroffenen Länder voraussetze – und die fürchteten den Zorn ihrer Bürger. Auch die SZ (Michael Bauchmüller) meint: "Das Gesetz macht die Speicher nicht möglich, es macht sie unmöglich." RWE habe entsprechende Pläne in Deutschland bereits aufgegeben.

Präimplantationsdiagnostik: Angesichts der heute anstehenden Abstimmung im Bundestag wendet sich die Jürgen Kaube (FAZ) gegen einen "PID-Alarmismus". Eine Menschen-Optimierung sei nicht zu befürchten, befruchtete Eizellen noch keine Individuen. Die taz (Heike Haardorf) befürchtet dagegen, es könnte aufgrund der hohen Zahl unentschlossener Abgeordneter kein Gesetzentwurf die Mehrheit finden – und die PID damit mangels gesetzlichen Verbots weiterhin zulässig bleiben, wie der Bundesgerichtshof 2010 befunden habe.

Parteienfinanzierung: Die taz (Martin Rank) beschäftigt sich mit der am Donnerstag zur Abstimmung stehenden Erhöhung der Parteienfinanzierung. Diese sei unter Parteienrechtlern umstritten, weil sie künftig eine automatische Erhöhung der Zuwendungen anhand eines Preisindexes für "parteitypische Ausgaben" vorsehe. Der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim kritisiert in der taz das intransparente und hastige Vorgehen der Parlamentarier, durch das eine "Kontrolle durch die Öffentlichkeit zu verhindern" versucht werde.

Weitere Themen – Justiz

Eigenbedarfskündigungen erleichtert: Ein Urteil des Bundesgerichtshofs zu Eigenbedarfskündigungen von Vermietern bespricht fr-online.de (Ursula Knapp). Die Begründungsanforderungen würden deutlich abgesenkt; insbesondere müsse die bisherige Wohnsituation nicht mehr offengelegt werden. Damit seien solche Kündigungen aber kaum mehr inhaltlich überprüfbar.

Geld mit Kreditkarte: Wie unter anderem das Handelsblatt berichtet, hat der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs die Beschwerde gegen ein Urteil des Oberlandesgerichts München abgewiesen, wonach Sparkassen und Genossenschaftsbanken das Geldabheben mittels Kreditkarte zulassen müssen. Geklagt hatten ursprünglich drei Direktbanken.

Kontogebühren: Die SZ (Andreas Jalsovec) widmet sich der Weigerung insbesondere von Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken, Kontoführungsgebühren für Darlehenskonten zurückzuerstatten. Hintergrund sei ein Urteil des Bundesgerichtshofs, das solche Gebühren für rechtswidrig erklärt habe. Die Banken stellten sich auf den Standpunkt, das Urteil betreffe nur eine ganz bestimmte Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Die Verbraucherschutzzentrale Nordrhein-Westfalen hingegen halte das Urteil für anwendbar.

Kabelhersteller-Kartell: Die FTD (Mark Schrörs/Tobias Bayer/Michael Gassmann) berichtet, die EU-Kommission habe ein Kartellverfahren gegen zwölf Hersteller von Erd- und Unterwasserkabeln eingeleitet. Dies sei "pikant", weil der Kabelmarkt gerade für den Ausbau erneuerbarer Energien von Bedeutung sei.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Strauß-Kahn: Die SZ (Nikolaus Piper) stellt die US-Debatte um den New Yorker Staatsanwalt Cyrus Vance dar. Dieser habe sich zwischen einer "mit heißer Nadel gestrickten" Anklage und der Ausreise des Tatverdächtigen entscheiden müssen. In die Kritik gerate auch zunehmend der "Perp Walk", das Vorführen Festgenommener in Handschellen.

Als "Drahtseilakt" bewertet fr-online.de (Sebastian Gehrmann/Axel Veiel) die Strafanzeige der Journalistin Tristane Banon gegen Strauß-Kahn: Erst nach acht Jahren "riskiere" sie diesen Schritt gegen den jetzt "angekratzten" Spitzenpolitiker. Dessen Anwälte kündigten unterdessen eine Verleumdungsklage an, so unter anderem zeit.de.

Todesstrafe: Die taz (Matthias Lohre) stellt die Bemühungen eines Mordversuchs-Opfers in den USA dar, den Täter vor der Todesstrafe zu bewahren. Dieser hatte im Nachgang der Anschläge am 11. September 2001 zwei asiatischstämmige Männer erschossen und das Opfer selbst schwer verletzt.

Terrorverdächtiger vor US-Zivilgericht: Nach zweimonatigen Verhören auf hoher See sei ein somalischer Terror-Verdächtiger auf Geheiß Präsident Obamas nach New York gebracht und vor einem US-Bundesgericht angeklagt worden, berichtet die SZ (Reymer Klüver). Diese erstmalige Überstellung eines Terrorverdächtigen auf das amerikanische Festland sorge für einen Konflikt mit dem Repräsentantenhaus, weil dieses Strafverfahren gegen im Ausland festgenommene Terrorverdächtige nur vor Militärgerichten in Guantanamo zugelassen habe.

huw (SZ) hält dies für eine "gute Nachricht", die wohl "in die amerikanische Rechtsgeschichte eingehen" dürfte. Die schlechte Nachricht sei, dass auch unter der Obama-Administration Terrorverdächtige monatelang "ohne Anklage, ohne Anwalt" auf Schiffen der US-Marine festgehalten und verhört würden. spiegel.de sieht angesichts des Geheimverhörs eines der "zentralen Regierungsziele" Obamas in Frage gestellt.

Sonstiges

Straße für Neuköllner Richterin: Anlässlich des Todestags der Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig wird in Berlin diskutiert, ob eine Straße nach ihr benannt werden soll. Regina Mönch (FAZ) bedauert, dass sich Justizsenatorin Gisela von der Aue, die in der Richterin immer eine "Störenfriedin" gesehen habe, in einer "verschwurbelten Stellungnahme" gegen diese Idee ausspreche. Mut und Mitgefühl der Richterin seien gerade in Neukölln nicht vergessen.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/thd

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 7. Juli 2011: SS-Massaker folgenlos – Lebensmittel gekennzeichnet – Terrorprozess vor US-Gericht . In: Legal Tribune Online, 07.07.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3685/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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