Verunglimpfung des Bundespräsidenten : Das Comeback der Majestätsbeleidigung

von Dr. Andrea Grotemeier

11.01.2012

Eine für Mittwoch angesetzte Verhandlung wegen Verunglimpfung des Bundespräsidenten fällt nun aus. Trotzdem sollte man sich hüten, das Staatsoberhaupt im Zuge der aktuellen Affären zu verspotten. Ein exotischer Straftatbestand schützt den ersten Mann im Staat vor Ehrkränkungen. Ob dieser besondere Schutz auch heute noch zeitgemäß ist, weiß Andrea Grotemeier.

In der heute noch strafbaren Verunglimpfung des Bundespräsidenten nach § 90 Strafgesetzbuch (StGB) lebt fragmentarisch die Majestätsbeleidigung des 19. Jahrhunderts weiter. Im Kaiserreich als "Kautschukparagraf" missbraucht, fristet die Norm heute ein anachronistisches Schattendasein: Im Standardkommentar zum StGB finden sich genau fünf Rechtsprechungsnachweise. Nichtsdestotrotz: Die Bestimmung existiert und ist nach wie vor gültig.

Sie wäre jetzt beinahe einem Internutzer zum Verhängnis geworden, der ein unvorteilhaftes Foto vom Amtsantritt des amtierenden Bundespräsidenten Christian Wulff auf Facebook hochgeladen hatte. Darauf ist die Gattin des Staatsoberhaupts zu sehen, wie sie den rechten Arm zum "Hitlergruß" hebt. Ob es sich um eine unglückliche Momentaufnahme oder eine Fotomontage handelt, ist unklar. Der Blogger kommentierte diese Geste mit den Worten, dass nur noch ein "Schiffchen auf dem Kopf" fehle und sie sehe aus wie ein "Blitzmädel im Afrika-Einsatz". Das Foto sei aber "hübsch, wenn dieser Herr daneben nicht wäre."

Diese Äußerung war für Christian Wulff Grund genug, der Strafverfolgung zunächst zuzustimmen. Der seit 1952 nahezu unveränderte Tatbestand des § 90 StGB stellt das öffentliche Verunglimpfen des Bundespräsidenten nämlich nur dann unter Strafe, wenn das Staatsoberhaupt seine Ermächtigung hierfür erteilt. Gestern teilte das Bundespräsidialamt dann mit, die Zustimmung in Wulffs Auftrag kurzfristig zurückgenommen zu haben. Dem Blogger hätte sonst eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren gedroht.

Majestätsbeleidigungsparagrafen gegen ungeliebte Sozialdemokraten

Historisch betrachtet basiert die gesetzliche Formulierung eines besonderen Ehrschutzes des Staatsoberhauptes auf dem preußischen StGB von 1851 und dem Reichsstrafgesetzbuch von 1871, wenn auch die Wurzeln der Strafbarkeit eines "crimen maiestatis" bereits im römischen Recht zu finden sind.

Die gesetzliche Regelung der Preußen war eine zweischneidige Errungenschaft: So bot sie einerseits eine Abkehr von der zuvor existierenden Willkür hin zu einem gesetzlich bestimmten, vom Hochverrat deutlich abgegrenzten Straftatbestand. Andererseits bemängelten Kritiker eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit. Auch stellte sich die Frage, wie eine derartige Sonderstellung des Staatsoberhaupts gegenüber den Bürgern gerechtfertigt werden kann.

Unter der wilhelminischen Monarchie und der Kanzlerschaft Bismarcks wurden die Majestätsbeleidigungsparagrafen des Reichsstrafgesetzbuchs (RStGB) dann recht großzügig ausgelegt, um die Sozialdemokraten als politische Gegner auszuschalten, indem man sie für einige Monate durch Inhaftierung mundtot machte.

Die sozialdemokratische Parteizeitung "Vorwärts" veröffentlichte von 1895 bis 1908 eine fast täglich erscheinende "Chronik der Majestätsbeleidigungsprozesse", in welcher sie den staatlichen Machtmissbrauch dokumentierte.  Auch Prozesse gegen satirische Magazine wie den "Kladderadatsch" und den "Simplicissimus" fanden reges öffentliches Interesse, ebenso skurrile Verurteilungen, etwa weil jemand beim Ausbringen eines Hochs auf den Kaiser den Hut auf dem Kopf behielt.

Badefotos, BSE und Bundespräsidenten

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass in der späteren Weimarer Republik dann die Sozialdemokraten als frühere Gegner und Opfer der Bestimmung vor der Aufgabe standen, ihren Präsidenten Friedrich Ebert vor Anfeindungen vor allem von rechts-konservativer Seite zu schützen. Zum Zweck der politischen Stimmungsmache nutzten Eberts Gegner insbesondere bösartige Unterstellungen hinsichtlich seiner Herkunft aus einfachen Verhältnissen, aber auch vermeintlich kompromittierende Fotos wie etwa das berühmte "Badebild".

Die Verschärfung der politischen Verhältnisse nach der Ermordung von Reichsaußenminister Walther Rathenau  machte 1922 dann die Einführung eines wieder uneingeschränkten Ehrschutzes des Staatsoberhauptes erforderlich. Im nationalsozialistischen Deutschland war es hingegen zweitrangig, ob eine Führerbeleidigung nach den allgemeinen Beleidigungsdelikten, dem Heimtückegesetz oder wegen Wehrkraftzersetzung bestraft wurde; für die Strafwürdigkeit eines Verhaltens wurde ausdrücklich an das "gesunde Volksempfinden" angeknüpft und drakonische Strafen wurden in jedem Fall verhängt.

Seit Bestehen der Bundesrepublik ist die praktische Bedeutung der Norm hingegen recht gering. Wurden die Bundespräsidenten Theodor Heuss und Heinrich Lübke noch wegen ihrer persönlichen Vergangenheit im Dritten Reich verunglimpft, hat die Anzahl der Beleidigungen in jüngerer Vergangenheit stark abgenommen.

So wurden von 1990 bis 2004 laut Auskunft des Bundespräsidialamts 41 Fälle registriert, nur zweimal erteilte der Bundespräsident eine Strafermächtigung. Einmal handelte es sich um einen tätlichen Angriff auf das Staatsoberhaupt. In anderen Fällen kam es zu außergerichtlichen Unterlassungserklärungen oder Ermahnungen, wie beispielsweise 2001 im Zusammenhang mit einem Beitrag in der Satirezeitschrift "Titanic" über die Rinderseuche BSE und den damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau.

Unzeitgemäßer Ehrschutz für Staatsoberhäupter

Auch vor dem Hintergrund des heutigen Staats- und Demokratieverständnisses ist zweifelhaft, ob der Ehrschutz des Staatsoberhaupts derart exponiert in einem gemeinsamen Abschnitt mit den Vorschriften über Hoch- und Landesverrat geregelt sein muss. So fragte bereits Bundespräsident Heuss, "wann es staatspolitisch notwendig ist, dass ich mich beleidigt fühle".

Andere Verfassungsorgane wie die Bundeskanzlerin oder der Bundestagspräsident genießen diesen Ehrschutz nämlich nicht, wenngleich sie sich durch ihre Amtsgeschäfte viel häufiger angreifbar machen. Ihrer besonderen politischen Bedeutung trägt nur die erhöhte Strafandrohung im Rahmen der allgemeinen Beleidigungsdelikte Rechnung (§ 188 StGB).

Zwar nimmt der Präsident größtenteils repräsentative Funktionen wahr und wirkt nahezu ausschließlich durch die besondere Würde seines Amtes. Eine Verletzung dieser Würde sollte daher in jedem Falle strafwürdig sein. Staatsgefährdend aber ist sie nicht.

Darüber hinaus schadet ein öffentlich geführter Gerichtsprozess dem Ansehen des Präsidenten oft mehr, als er nützt. Die aktuelle kritische Auseinandersetzung mit dem Bundespräsidenten Christian Wulff lässt allerdings erwarten, dass der Facebook-Blogger nicht der letzte gewesen ist, der den Unmut des Bundespräsidenten erregt. So mancher Kritiker sollte deshalb vorsichtig sein und mit dem öffentlichen Präsidenten-Bashing nicht über das Ziel hinausschießen. Der exotische Straftatbestand könnte sonst womöglich ein kleines Comeback feiern.

Die Autorin Dr. Andrea Grotemeier (geb. Hartmann) ist Staatsanwältin in Bremen und hat am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und juristische Zeitgeschichte bei Prof. Dr. Dr. Vormbaum an der Fernuniversität Hagen über das Thema "Majestätsbeleidigung und Verunglimpfung des Staatsoberhauptes (§§ 94ff. RStGB, 90 StGB)" promoviert.

Zitiervorschlag

Dr. Andrea Grotemeier, Verunglimpfung des Bundespräsidenten : Das Comeback der Majestätsbeleidigung . In: Legal Tribune Online, 11.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5273/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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