Frankfurter Völkermordprozess: An den Grenzen der Wahrheitsfindung

von Sascha Hörmann

20.12.2011

Seit Anfang 2011 prüft das OLG Frankfurt die mögliche Beteiligung eines Mannes aus Ruanda am Völkermord im Jahr 1994. Ob die Richter zu der erforderlichen zweifelsfreien Überzeugung seiner Schuld kommen können, steht in den Sternen. Von der schwierigen Zusammenarbeit mit ruandischen Behörden und Sprachbarrieren bei der Zeugenvernehmung berichtet Sascha Hörmann.

Jean* nimmt vor der schweren Panzerglasscheibe Platz. Er ist als Zeuge geladen. Vor zwei Tagen wurde er aus Ruanda eingeflogen. Schon kurz nach seiner Aussage wird es zurück nach Kigali gehen. Direkt hinter Jean, im Zuschauerraum, sitzen einige seiner Bekannten und eine Handvoll Studenten. Insgesamt vielleicht zehn Leute heute, mehr sind es meistens nicht - das öffentliche Interesse an dem Prozess ist eher gering.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Saals II des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt ist das anders. Hier sitzen dem Zeugen sieben Richter gegenüber. Links davon die beiden Vertreter der Generalbundesanwaltschaft in ihren bordeauxroten Roben. Rechts der angeklagte Onesphore R., dessen zwei Verteidigerinnen und zwei Dolmetscher. Jenseits der Panzerglasscheibe erwartet man von Jean Antworten. Antworten zu einem Sachverhalt, der 17 Jahre zurückliegt und sich über 6.000 Kilometer entfernt abspielte.

Bei der Beurteilung von dem, was damals geschah, sehen sich die Richterinnen und Richter des 5. Strafsenats besonderen Herausforderungen gegenüber. Die größte ist vielleicht, die Glaubwürdigkeit und den Wahrheitsgehalt der Zeugenaussagen beurteilen zu müssen. Dokumente, die dem Angeklagten eine Beteiligung an dem vorgeworfenen Verbrechen nachweisen könnten, existieren nicht. Was bleibt sind Zeugen - auf sie kommt es an.

Das Bundeskriminalamt ermittelte vor Ort

Aber wie überprüfbar sind ihre Aussagen? Nach mehr als 17 Jahren sollen sich Zeugen wie Jean an Details des 11. April 1994 erinnern, dem Tag des "Kirchenmassakers von Kiziguro". Onesphore R. wird vorgeworfen, in seiner Eigenschaft als Bürgermeister die Tötung von über 1.000 Menschen befohlen zu haben. Es ist der einzig verbliebene von ursprünglich sechs Anklagepunkten. War der Angeklagte an diesem Tag dort? Wo genau? Hat er gesprochen? Einige der Zeugen leiden noch immer unter der Traumatisierung. Sie haben Familienmitglieder verloren, manche waren zum Tatzeitpunkt noch Kinder. Das Erinnerungsvermögen eines Menschen hat Grenzen.

Der Umgang mit den ruandischen Zeugen fällt dem Vorsitzenden Richter, Thomas Sagebiel, zuweilen erkennbar schwer. Opfer von Gewaltverbrechen zu vernehmen ist niemals leicht, im Frankfurter Prozess kommt die Sprachbarriere hinzu. Der Dolmetscher tut sein Möglichstes, um diese zu überwinden. Kinyarwanda, die Landessprache Ruandas, folgt aber anderen Regeln als die Amtssprache vor deutschen Gerichten. Nur selten gibt es in diesem Verfahren klare Antworten auf vermeintlich klare Fragen.

Bislang wurden 54 Zeugen gehört. Die meisten von ihnen sind, wie Jean, Ruander. Nur wenige leben in Deutschland, einige in Europa, die meisten aber in Ruanda oder afrikanischen Nachbarstaaten. Ausfindig gemacht wurden sie von einer Spezialabteilung des Bundeskriminalamtes (BKA), zur "Bekämpfung von Kriegsverbrechen und weiteren Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch". Unter der Leitung der Generalbundesanwaltschaft reiste man bereits mehrfach nach Ruanda, um potentielle Zeugen zu vernehmen. Im Rahmen von Rechtshilfeersuchen unterstützen die ruandischen Behörden die deutschen Kollegen.

Manchmal auch in unerwarteter Form: Im Juli 2009 reisten Beamte des BKA das erste Mal nach Kigali, der Hauptstadt Ruandas. Zuvor übermittelte man eine Liste mit 23 Zeugennamen, die man durch Befragungen in Deutschland ermittelt hatte, nach Ruanda. Nur 14 von ihnen wurden von ruandischen Sicherheitskräften zu den zur Verfügung gestellten Büros gebracht. Darüber hinaus wurden jedoch Zeugen vorgeführt, die seitens der deutschen Beamten gar nicht genannt worden waren. Darüber, wie die ruandischen Behörden auf diese Zeugen kamen, und wo die fehlenden abgeblieben waren, schwiegen sich die Ruander aus, berichtete einer der zuständigen Ermittlungsbeamten in seiner gerichtlichen Vernehmung.

Dass sich unter den zusätzlich "gelieferten" Zeugen die Hauptbelastungszeugen für zwei der ursprünglich drei angeklagten "Kirchenmassaker" befinden, kann natürlich Zufall sein. Für die Verteidigung sind die Zeugen allerdings nicht überprüfbar. "Dazu müsste man Mitarbeiter vor Ort haben, die für uns Ermittlungen anstellen, das ist aber nicht finanzierbar", meint Natalie von Wistinghausen, eine der Verteidigerinnen.

Mit Hightech der Wahrheit auf der Spur

Ob es auch ein politisches Interesse seitens der ruandischen Regierung an einer Verurteilung ihres Mandaten gibt? Davon geht die Verteidigung aus. Man habe des Öfteren erlebt, "dass ein Freispruch in Arusha [dem Sitz des Ruandatribunals] Demonstrationen in Kigali zur Folge hat." Deshalb sind nicht alle Zeugen über die Ladung nach Deutschland erfreut.

Viele der ruandischen Zeugen wurden wie Jean eingeflogen und an einem geheimen Ort untergebracht. Dass sie persönlich erscheinen, ist dem "Unmittelbarkeitsgrundsatz" geschuldet. Demnach muss ein Zeuge in der Hauptverhandlung persönlich gehört werden. Eine Protokollverlesung genügt nicht. Das gilt auch für die Zeugen, die sich in Ruanda selbst in Haft befinden. Sie werden mit Hilfe einer Videokonferenz vernommen, bei der ein Beamter des BKA stets vor Ort ist.

Ob ein Zeuge jedoch vorher oder nachher beeinflusst wird, kann er jedoch nicht ganz sicher ausschließen. Die Haftbedingungen lassen erahnen, dass es für eine mögliche Beeinflussung nicht viel bedarf: Ein Inhaftierter bat im Verlauf der Vernehmung zunächst einmal um etwas zu essen. Ein anderer um ein Stück Seife und etwas Zucker.

Kein Mitglied des Senats war bislang selbst in Ruanda. Die Beurteilung der Zeugenaussagen wird dadurch nicht leichter. Konnte man aus diesem Raum den Angeklagten tatsächlich sehen? Ist die Mauer nicht doch zu hoch? Den Tatort, die Kirche von Kiziguro, kennen die Richter nur von Fotos. Ändern soll das nun der Einsatz von neuester Hightech. Eine "vollsphärische Aufnahme" durch Ermittlungsbeamte des BKA soll Abhilfe schaffen. Der Hersteller verspricht, damit sei eine "Begehung jederzeit und unabhängig von Zeit und Ort möglich."

Nur eine von vielen Bemühungen des Gerichts – des Weiteren hörte man Gutachter zu den politischen und historischen Hintergründen der Massaker und Spezialisten zur Glaubwürdigkeit von traumatisierten Zeugen. All das nimmt den Richtern aber nicht die Bürde der Entscheidung: "Es wird alles erhellt, was es zu erhellen gibt", versprach der Vorsitzende Richter Sagebiel bereits am dritten Prozesstag. Es war ihm anzusehen, wie ernst er es damit meinte. Ob es ihm gelingen kann, bleibt abzuwarten. Vielleicht stößt die Wahrheitsfindung in Kigali an ihre Grenze.

*Name geändert

Sascha Hörmann ist Mitglied des Forschungs- und Dokumentationszentrums Kriegsverbrecherprozesse und arbeitet als freier Lektor und Journalist in Marburg. Das Verfahren gegen Onesphore R. begleitet er seit Prozessauftakt.

 

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Zitiervorschlag

Sascha Hörmann, Frankfurter Völkermordprozess: An den Grenzen der Wahrheitsfindung . In: Legal Tribune Online, 20.12.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5141/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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