Elektronische Fußfessel: Ein­ge­sperrt im vir­tu­ellen Raum

Daniel Schneider/LTO-Redaktion

29.09.2011

Vor allem als Alternative zur Sicherungsverwahrung wollen mehrere Länder sie einführen, in Bayern testen Freiwillige die elektronische Fußfessel. Hessen bereitet mit ihr schon lange Häftlinge wieder auf die Freiheit vor. Um die Sicherungsverwahrung zu ersetzen, braucht es dem Kriminologen und Gefängnispfarrer Tobias Müller-Monning zufolge aber mehr.

Die Hessen nutzen die elektronische Fußfessel schon seit dem Jahr 2000 in einem Pilotprojekt. Im Mai dieses Jahres unterzeichneten nun Hessen und Bayern einen Staatsvertrag über die länderübergreifende Einführung, seit Ende August 2011 sind auch Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern an den gemeinsamen Planungen beteiligt. Koordiniert werden soll die Aktion ab 2012 durch ein länderübergreifendes Zentrum im hessischen Bad Vilbel.

Die Monitoring System, das bereits 1988 in den USA patentiert wurde, war von vorneherein als Alternative zur Inhaftierung vorgesehen, der Europarat bezeichnete es als "Non-Custodial Sanction and Measure". Seit das US-Militär sein GPS-System für die zivile Nutzung freigegeben hat, erfährt die Kontrolle mittels Fußsender weltweit ein enormes Wachstum. Dabei wird sie nicht nur für Straftäter benutzt, sondern auch die Technologie wird auch bei der Überwachung von Alzheimer-Patienten angewandt.

In Europa wandten im Jahr 2007 elf Staaten die so genannten Electronic Monitoring (EM)-Systeme an, wobei England mit über 70.000 und Spanien mit mehr als 9.000 überwachten Personen das Gros ausmachen. Das Überwachungssystem gibt es in zwei Versionen. In Deutschland kommt ausschließlich das "Remote Control System" zum Einsatz. Dabei handelt es sich um eine Art kontrollierten Hausarrest: In der Wohnung des Überwachten befindet sich die Kontrolleinheit, die in ständigem Kontakt zu der Einheit am Handgelenk oder Fuß des Trägers seht. Sobald der Sender sich zu weit entfernt, schlägt sie Alarm. GPS-gesteuerte Systeme, mit deren Hilfe der Aufenthaltsort des Trägers definiert werden kann, werden in Deutschland noch nicht eingesetzt.

Ein bisschen Freiheit: Vorbereitung auf die Haftentlassung

Insbesondere Hessen hat in den letzten zehn Jahren umfangreiche Erfahrungen im Gebrauch mit der Fußfessel im Rahmen der Bewährungshilfe und der Untersuchungshaft (U-Haft) gemacht. Hauptanwendungsfall ist mit 70 Prozent die Bewährungskontrolle. "Meistens sechs Monate vor der Haftentlassung kann der Gefangene darauf hoffen, die Reststrafe zur Bewährung unter Einsatz einer Fußfessel absitzen zu können", so Dr. Tobias Müller-Monning, der als Gefängnisseelsorger in der JVA Butzbach arbeitet und den Gefangenen dabei hilft, entsprechende Anträge zu stellen: "In Hessen werden die EM-Systeme auch im Rahmen der so genannten Lockerungserprobung angewandt, das heißt als Vorbereitung auf die Haftentlassung."

Jede Maßnahme wird dabei durch einen definierten Tagesplan, die Überwachung der Anwesenheit des Probanden innerhalb der Wohnung und die Betreuung durch die Bewährungshilfe begleitet. Müller-Monning, der als Sozialtherapeut und Kriminologe Erfahrungen mit dem hessischen Projekt hat, erklärt, dass "durch die EM-Systeme ganz neue Netzwerke und Kooperationen geschaffen werden, die es dem Straftäter erlauben, in einem sozialen Umfeld in überwachter Freiheit zu leben."

Der Tagesablauf der Überwachten wird in einem Wochenplan genau festgelegt. Kommt es zu Fehlermeldungen, wird der Träger der Fußfessel sofort kontaktiert. "Wenn sich der überwachte Straftäter von der Kontrolleinheit entfernt oder nicht zu den vereinbarten Zeiten nach Hause kommt, versucht der Bewährungshelfer, ihn per Telefon zu erreichen. Gelingt das nicht, wird der Fall weitergeleitet und es geht ein Haftbefehl raus", erläutert der Kriminologe. Ein solcher Alarm werde auch sofort ausgelöst, wenn der Träger versucht, die Einheit durch mechanische Gewalteinwirkung abzunehmen.

Als Alternative zur Sicherungsverwahrung: "Weitaus schärfere Maßnahmen"

Aber auch in Hessen wurde die neue Technik in den letzten 10 Jahren nicht ausufernd verwendet. Insgesamt beläuft sich die Zahl der Einsätze auf etwa 800. Bei den Überwachten handelt es sich nach Angaben von Müller-Monning oft um jugendliche Straftäter. Meistens werden EM-Systeme bei Diebstahl, Betrug oder Raub, in einigen Fällen auch bei Drogendelikten eingesetzt. Haben die Täter schwerere Straftaten begangen, ist ihre Kontrolle nur in sehr intensiver Kooperation mit den beteiligten Stellen möglich.

Großen Aufwind bekam die elektronische Fußfessel in Deutschland durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 17.12.2009 (Az. 19359/04) sowie dessen Bestätigung vom 11.05.2010 zur Konventionswidrigkeit der deutschen Sicherungsverwahrung. Viele Straftäter wurden bereits entlassen, das Bundesverfassungsgericht hat eine Frist bis spätestens zum Jahresende gesetzt, innerhalb derer Verwahrte entlassen werden müssen. Auch ein Gesetzentwurf zur Neuregelung sieht das für den Regelfall vor. Das EM-System wird als geeignetes Mittel auch zur Kontrolle von solchen als gefährlich definierten Probanden der Führungs- und Bewährungsaufsicht angesehen.

Auf die Frage, wie die Fußfessel als Alternative zur Sicherungsverwahrung eingesetzt werden könnte, verweist Müller-Monning auf vergleichbare Kooperationen bei schwereren Delikten. Bei Sexualstraftaten etwa gebe es eine intensive Zusammenarbeit zwischen der Zentralstelle zur Überwachung rückfallgefährdeter Sexualstraftäter und dem Landeskriminalamt (LKA), der Staatsanwaltschaft, der Bewährungshilfe, den so genannten Sicherheitsmanagern und den einzelnen Polizeistationen vor Ort. "Auch bei dem Einsatz der Fußfessel als Alternative zur Sicherungsverwahrung müssten natürlich weitaus schärfere Überwachungsmaßnahmen getroffen werden, wobei die Kontrolle des ehemaligen Straftäters mit GPS-Unterstützung zu erfolgen hätte."

Viel mehr als nur eine technische Apparatur

Insgesamt berichtet Müller-Monning von positiven Erfahrungen mit der elektronischen Fußfessel in Hessen. "So ein Projekt kann aber nur funktionieren, wenn das Umfeld des Straftäters dazu passt", so der Kriminologe weiter. "Es wird vorher überprüft, ob der zu Überwachende einen strukturierten Tagesablauf und nach Möglichkeit einen sinnvollen Arbeitsplatz hat. Man braucht auch unbedingt die Zustimmung im sozialen System des Probanden, also die der Familie und Freunde." Das EM-System könne auch eine Belastung für das Umfeld seines Trägers sein, erklärt der Gefängnispfarrer. "Dafür brauchen wir gewisse gesellschaftliche Voraussetzungen, die das Tragen der Fußfessel ermöglichen."

Auch der finanzielle Faktor spielt beim Einsatz der EM-Systeme eine Rolle. Der Einsatz einer Fußfessel kommt den Staat im Vergleich zu einem Hafttag günstiger. Knapp über 33 Euro kostet ein "Fußfesseltag", während sich die Kosten für einen Tag in Haft auf knapp 100 Euro belaufen. Auch wirkt die Überwachungseinheit laut Müller-Monning nicht stigmatisierend, da die Maßnahme freiwillig sei: "Natürlich ist für jeden sichtbar, dass der Proband mit einem Fuß- oder Armband unterwegs ist - aber dass das eine Fußfessel ist, muss man auch erstmal erkennen." Es spiele auch eine Rolle, wie die Öffentlichkeit damit umgeht. "Es gibt Probanden, die verstecken die Kontrolleinheit und es gibt welche, die tragen sie ganz offen", erzählt der Kriminologe vom Umgang mit den kontrollierten Straftätern.

Gegnern der EM-Systeme, die das Projekt für wenig erfolgversprechend halten, widerspricht der Gefängnisseelsorger entschieden: "Der Kern der Fußfessel besteht nicht nur in der technischen Apparatur, mit welcher der Straftäter ausgerüstet wird. Wichtiger ist das Kooperationsnetzwerk, das um den Gefangenen herum gebildet wird. Es soll dem ehemaligen Strafgefangenen Hilfestellung geben, damit er seinen Tag neu strukturiert." Insgesamt biete das Projekt gute Chancen, Gefängnisaufenthalte zu verringern und damit die negativen Folgen der Haft zu vermeiden. "Sie sperren jemanden nicht mehr in einen Container, sondern nur noch in einen durch Relationen zwischen Mensch und Maschine geschaffenen virtuellen Raum."

 

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Zitiervorschlag

Daniel Schneider/LTO-Redaktion, Elektronische Fußfessel: Eingesperrt im virtuellen Raum . In: Legal Tribune Online, 29.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4425/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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