OLG-Vorwürfe an Anwälte

Ein Berufs­stand unter Gene­ral­ver­dacht

von Daniel Schneider / LTO-Redaktion und Pia LorenzLesedauer: 7 Minuten
Das OLG Düsseldorf spricht vom "Verdacht eines versuchten Betruges". Die Angegriffenen sind Anwälte, die angeblich im Einvernehmen mit ihren Mandanten mauern, um Gerichtskosten zu sparen. Die Richter beschränken sich nicht auf Vorwürfe im Einzelfall, die Anwaltschaft weist die "skurrilen" Anschuldigungen von sich und betreibt selbst Schelte gegen die Düsseldorfer Richter.

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Der Beschluss des Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf liest sich, als solle ein ganzer Berufsstand angeprangert werden. Anwälte kommen nicht gut weg, wenn ihnen vorgeworfen wird, dass sie konspirativ zu niedrige Streitwerte ansetzten, um Gerichtskosten zu sparen. Zumindest duldeten sie, dass die Parteien "im einträchtigen Zusammenwirken" ihr wahres finanzielles Interesse am Prozesserfolg verheimlichen, um die fälligen Gerichtsgebühren niedrig zu halten, so der 2. Senat des Düsseldorfer Obergerichts (Beschl. v. 10.05.2011, Az. I-2 W 15/11). Es bestehe der Verdacht eines versuchten Betruges zu Lasten der Landeskasse. Den Ausgangspunkt der Querelen zwischen dem Düsseldorfer Gericht und den Advokaten bildet die Beschwerde gegen eine Kostenentscheidung des Landgerichts (LG) Düsseldorf in einem patentrechtlichen Verfahren. Das OLG weist die Streitwertbeschwerde nicht nur zurück, sondern verweist in seiner Begründung darauf, dass der entscheidende Senat über einschlägige Erfahrungen mit Parteien und Anwälten verfüge. Zum Zuständigkeitsbereich der Richter gehören vor allem Streitigkeiten aus geldträchtigen Rechtsgebieten wie dem Patent- und Gebrauchsmusterrecht sowie dem Wettbewerbsrecht. Da sich die Gerichtskosten nach dem Streitwert richten, könnte der 2. Senat eigentlich mit einer Menge Geld Löcher in der Landeskasse stopfen.  Problematisch wird es allerdings, wenn die Parteien ihre finanzielle Motivation in dem Verfahren durch eine zu niedrige Streitwertangabe verschweigen oder zumindest zu verhindern suchen, ihr wahres Geldinteresse zu offenbaren. Genau das ist der Vorwurf der Düsseldorfer Richter, die beim landgerichtlichen Streit von 30 Millionen bleiben, obwohl die Parteien diesen mit nur 5 Millionen festgesetzt haben wollten. Eine "Vorenthaltung von der Landeskasse zustehenden Gerichtsgebühren" sehen sie, die "nicht hingenommen werden kann". Der Beschluss des OLG, im Zivilprozess eigentlich eine Sache ausschließlich zwischen den beteiligten Parteien, gerät zur Generalabrechnung: Das Procedere sei "nicht nur gelegentliche, sondern mittlerweile beinahe regelmäßige Praxis".

Das OLG darf Parteien und Anwälte nicht erziehen

Einen Freibrief für die Streitwertfestsetzung hat das Gericht nicht. Johannes Latz, Vorstandsmitglied der Anwaltskammer und Strafverteidiger in Köln, erläutert, dass das Gericht nach § 51 Abs. 1 Gerichtskostengesetz zwar freies bzw. billiges Ermessen bei der Entscheidung ausüben könne. Doch eröffne das keinen Spielraum für Willkür. "Auch nicht im 'erzieherischen' Interesse, das dem Gericht weder den Parteien noch Anwälten gegenüber zusteht", betont der Anwalt. Latz geht sogar noch einen Schritt weiter: "Die Androhung, bei mangelnder Mitwirkung der Parteien den Streitwert zu schätzen, der so hoch ist, dass er die Parteien 'zuverlässig motiviert', enthüllt die Absicht, bewusst überhöht zu schätzen, legt also den Verdacht der Ankündigung oder Rechtfertigung einer Rechtsbeugung nach § 339 StGB nahe." Der Kölner Strafverteidiger sieht auch nicht einmal einen Anfangsverdacht für einen versuchten Betrug – den das OLG seinerseits immerhin für so wahrscheinlich hielt, dass es eine Frist zur Stellungnahme setzte. Weil das Gericht selbständig den Streitwert festlegt, könnten "betragsmäßig untersetzte Streitwertangaben" gar keine Tatsachen im Sinne des § 263 StGB sein, über die getäuscht werden könne, so Latz.

DAV: "Absurd und skurril"

Die Düsseldorfer Richter sehen das anders: Die Fälle seien "nicht selten", in denen die Parteien und ihre Prozessbevollmächtigten die Anhebung des Streitwertes dadurch torpedierten, dass dem Gericht die notwendigen Daten, wie Verkaufspreise, Umsatzzahlen oder Marktanteile vorenthalten würden. Die Betroffenen begründeten das damit, "keine genaue Kenntnis über die maßgeblichen Geschäftsdaten zu haben und deshalb bedauerlicherweise bei der Aufklärung der Bemessungsfaktoren für den Streitwert keine Hilfe leisten zu können". Die Anwälte störe das alles wenig, so der zweite Senat. Sie rechneten ihre Gebühren nicht streitwertabhängig nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), sondern nach Stundensätzen ab. Anders als früher belaste ein zu niedriger Streitwert daher nicht mehr den Honoraranspruch des Anwalts, sondern nur noch einseitig die Staatskasse. Die Reaktion der Anwaltschaft ist eindeutig: "Der Vorwurf ist absurd, skurril und schon im Ansatz falsch", so Herbert Schons, Gebührenrechtler und Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV). Dass Anwälte nach Stundensätzen abrechnen und damit die gesetzliche Mindestvergütung in der Regel überschreiten, sollte auch den Richtern in Düsseldorf bekannt sein, so der Interessenvertreter. "Spätestens seit Ende des Zweiten Weltkrieges rechnen Anwälte so ab. Das sah schon die Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung und jetzt auch das RVG vor. So zu tun, als sei das neu, ist schon – mit Verlaub – von etwas schwachem Sinne."

Die Anwälte sind in ihrer Honorarbemessung nicht frei

Der DAV weist den geäußerten Generalverdacht aus Düsseldorf entschieden zurück. Das Gericht selbst sei schließlich die Instanz, die den Streitwert letztlich festlege. Und dies nach freiem Ermessen. Für den Fall, dass ein Prozessbeteiligter den Streitwert für nicht angemessen hält, gibt es das Rechtsmittel der Beschwerde. Eine solche war Gegenstand des Verfahrens des 2. Zivilsenats in Düsseldorf. Ein Verfahren, das bis zu dem Streitwertbeschluss normal ablief, erläutert Herbert Schons. Er stellt klar: "Das eigentlich Außergewöhnliche an dem Beschluss ist nur der unerhörte und in dieser Form bisher nicht vorzufindende Vorwurf, hier immerhin in der Entscheidung eines Obergerichts." Es darf durchaus stutzig machen, was die Richter in vermeintlich logischer Schlussfolgerung behaupten. Jedoch hat die Argumentation einen Haken: Eine Praxis, wie sie das Gericht als "direkte Absicht" tituliert, erscheine bei näherer Betrachtung wenig schlüssig, so Schons. Der Anwalt könne nicht exorbitant hohe Honorare verlangen und durch "Drücken" der Gerichtskosten mehr Gewinn einstreichen. "Das soll die zumindest bis zum letzten Jahr ständige Rechtsprechung des BGH verhindern, dass eine Honorarvereinbarung über das Fünffache der gesetzlichen Gebühren hinaus unangemessen und unwirksam ist."

Die Frage von Huhn und Ei

Schons erhebt seinerseits einen Vorwurf gegen das rheinländische Gericht: "Gerade das OLG Düsseldorf hat sich in den letzten 10 Jahren einen Namen dadurch gemacht, dass Vergütungsvereinbarungen regelmäßig als unzulässig aufgehoben wurden und Anwälte nur den gesetzlichen Betrag erhielten." Dies sei allgemein bekannt und jeder Anwalt werde daher die gesetzlichen Summen berücksichtigen, um nicht Gefahr zu laufen, mit einer zu hohen Vereinbarung zu scheitern. Der DAV-Vizepräsident folgert: "Die Anwälte werden sich doch nicht selbst torpedieren, indem sie die gesetzliche Mindestvergütung durch einen niedrigen Streitwert künstlich klein halten." Was der Interessenvertreter aus Duisburg aber verschweigt: Eine Honorarvereinbarung kann nur für unwirksam erklärt werden, wenn sie denn überhaupt vor Gericht landet. Nur bei einem Streit über die Absprache kann das Gericht diese als unwirksam aufheben. Solange das Honorar anstandslos gezahlt wird, erfährt außer Mandant und Anwalt niemand von diesen Vereinbarungen. Wo kein Kläger, da kein Richter.

"Kein Gesprächsthema für die Gerichtskantine"

Dass Anwälte als unabhängiges Organ der Rechtspflege bei diesem Spiel mitmachen, weil sie sich durch die eingesparten Gerichtsgebühren mehr Spielraum für die Abrechnung des eigenen Honorars erhoffen, hält der DAV aber für lebensfremd. "Das offenbart nur, dass die Richterwelt keine Ahnung von der Anwaltspraxis haben", erklärt Schons. "Es gibt keinen Mandanten, der sagt: 'Drück mal die Gerichtskosten und was Du drückst, bekommst Du von mir als Anwaltshonorar'." Auch der Vizepräsident des Anwaltsvereins räumt ein, dass es Einzelfälle geben kann, bei denen auf diese Art verfahren wird. "Irgendwo, irgendwann kann es so etwas geben, das kann der DAV nicht abstreiten. Dies kann jedoch nicht verallgemeinert werden. Das OLG Düsseldorf hat ebendies aber auf eine nicht erträgliche Weise getan und die Aussagen eben nicht auf die Verfahrensbeteiligten beschränkt." Die als Begründung herangezogenen angeblichen Erfahrungen und Kenntnisse des Senats hält Schons dabei für abwegig: "Es wird gesagt, dass man sich hierüber bereits mit Anwälten unterhalten habe. Aber glauben sie mir, das ist kein Gesprächsthema für die Gerichtskantine."

Ein zweifelhafter Anlass für eine Generalabrechnung

Man kann sich des Eindrucks schwer erwehren, dass der Senat das Verfahren, in dem entschieden wurde, tatsächlich eher zum Anlass genommen hat, seinen Unmut über eine von ihm offenbar angenommene allgemeine Praxis zu äußern, wenn man sich dessen bisherigen Verlauf ansieht. Es war das OLG, das die unter anderem streitgegenständliche Lizenzgebühr mit 1,5 Prozent für angemessen hielt, während die Klägerin in einem vorangegangenen Vergleichsangebot selbst nur 0,5 Prozent angesetzt hatte. Es liegt auf der Hand, dass sich schon durch eine Verdreifachung der Lizenzgebühr der Streitwert ganz erheblich erhöht – ohne dass es dabei um Fakten oder Umstände ginge, bezüglich derer die Prozessparteien mauern könnten. Hinzu kommt, dass nicht etwa nur die Parteien von einem Streitwert von 5 Millionen Euro ausgegangen waren. Vielmehr hatte in dem parallel anhängigen Nichtigkeitsverfahren immerhin auch das Bundespatentgericht (BPatG) ebendiesen Streitwert mit 5 Millionen Euro festgesetzt. Für die Düsseldorfer Richter ist das offenbar kein Problem: Sie verweisen darauf, dass die Entscheidung des BPatG keine Bindungswirkung entfaltet und beschränken sich auf die Anmerkung, dass die ihnen präsentierten Umsatzzahlen der beteiligten Unternehmen "dem Bundespatentgericht im Zweifel noch nicht vorgelegen" hätten. Die Pressestellte des OLG Düsseldorf teilte mit, dass man zu den in der Entscheidung erwähnten Erfahrungen des Senats aus Gründen der richterlichen Unabhängigkeit keine Aussage machen könne. Immerhin konnte die Pressesprecherin mitteilen, dass die Anwälte zwischenzeitlich Stellung zu dem Beschluss genommen hätten. In der Sache halte das Gericht danach zwar weiterhin an seinem Beschluss fest. Von den in der Entscheidung noch erwogenen "straf- und berufsrechtlichen Maßnahmen" habe man aber von Seiten der Zivilrichter in Düsseldorf Abstand genommen. Mehr auf LTO.de: DAV: Kein Generalverdacht gegen die Anwaltschaft Special Anwaltstag: Ethik-Kodex - The question is what is the question Special Anwaltstag: Rechtsanwaltsvergütung - Das RVG auf dem Weg zum Exportschlager?

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