Anerkennung des libyschen Rebellenrats: Eher überstürzt als überfällig

Mit der Anerkennung des Übergangsrats der Rebellen als legitime Vertretung des libyschen Volkes folgt Deutschland dem Beispiel Frankreichs, Großbritanniens und Italiens. Die USA, die immerhin an der Militäraktion gegen das Regime von Machthaber Gaddafi beteiligt sind, zeigen sich hingegen zurückhaltend – und das aus guten Gründen, meint Przemyslaw Roguski.

Bei einem Besuch in Bengasi am Montag hat der deutsche Außenminister Guido Westerwelle den Nationalen Übergangsrat als einzige legitime Vertretung des libyschen Volkes anerkannt. Oberst Gaddafi, der bis dahin von Deutschland anerkannte Führer Libyens, habe wegen des Krieges gegen das eigene Volk jede Legitimation verloren.

Nach den an der Militäraktion zur Durchsetzung der Resolution 1973 beteiligten Staaten Westeuropas (Frankreich, Spanien, Großbritannien, Italien) und der arabischen Welt (Katar, Kuwait) gehört Deutschland zu den ersten, die den Übergangsrat diplomatisch anerkennen. Ein Land fehlt jedoch bislang in den Reihen der die Rebellen-Regierung anerkennenden Staaten: die USA.

Dies mag zunächst verwundern, waren die Amerikaner doch seit den ersten Stunden an der Militärintervention gegen Gaddafi beteiligt. Hier folgen sie allerdings nun einer strikten Auslegung der völkerrechtlichen Regeln über die Anerkennung von Regierungen.

Regierungsbildung als innere Angelegenheit eines Staates

Im Völkerrecht wird zwischen der Anerkennung von Staaten und der Anerkennung von Regierungen unterschieden. Die Anerkennung eines Staates bezieht sich auf dessen Völkerrechtssubjektivität, also auf seinen Status und seine Handlungsberechtigung auf der völkerrechtlichen Ebene. Die Anerkennung einer Regierung bezieht sich hingegen auf den Vertretungsanspruch in internationalen Beziehungen.

Anders als die Anerkennung von Staaten ist die explizite Anerkennung von Regierungen völkerrechtlich nicht üblich. Die Befugnis, einen Staat nach außen zu vertreten, richtet sich ausschließlich nach innerstaatlichen Vorschriften und fällt somit in die Sphäre der inneren Angelegenheiten eines Staates. Würde die Außenvertretungsbefugnis einer Regierung von der Anerkennung durch die Staatengemeinschaft abhängen, könnten andere Staaten so auf die innere Ordnung eines Staates Einfluss nehmen. Dies wiederum würde die Souveränität des Staates verletzen und ist daher durch das Interventionsverbot untersagt.

Wie ein Regierungswechsel zustande gekommen ist, ist aus völkerrechtlicher Sicht also uninteressant. So fällt auch der Regimewechsel unter Missachtung verfassungsrechtlicher Grundsätze, etwa durch einen Militärputsch, weiter in die Sphäre der inneren Angelegenheiten eines Staates. Die (implizite) Anerkennung einer nach einem Putsch oder revolutionären Umsturz gebildeten Regierung durch Aufnahme oder Weiterführung diplomatischer Beziehungen sagt also nichts über die innerstaatliche Legitimität dieser neuen Regierung aus. Vielmehr nimmt sie allein den faktischen Umstand zur Kenntnis, dass diese Regierung nunmehr für den Staat handelt.

Verfrühte Anerkennung ist völkerrechtswidrig

Allerdings gibt es Situationen, in der eine formelle Anerkennung einer Regierung durch andere Staaten notwendig sein kann. Dies ist dann der Fall, wenn unsicher ist, wer einen Staat nach außen vertritt. Üblicherweise entsteht eine solche Situation nach revolutionären Umstürzen. Voraussetzung für eine formelle Anerkennung ist stets die Inhaberschaft der effektiven Herrschaftsgewalt über das Territorium des Staates.

Die Anerkennungsproblematik tritt oft bei Bürgerkriegen auf. Hier streiten zwei oder mehrere Parteien um die Macht und beanspruchen die Vertretungsbefugnis für sich. Auch der Bürgerkrieg ist zunächst eine innere Angelegenheit des Staates. Die Anerkennung der durch die Aufständischen gebildeten Regierung als Regierung des ganzen Staates verbietet sich daher solange, bis diese Regierung zweifelsfrei die effektive Herrschaftsgewalt über einen Großteil des Staatsterritoriums erlangt hat.

Umso mehr verbietet sich eine frühzeitige Anerkennung einer aufständischen Regierung, wenn diese aufgrund der Intervention einer fremden Macht gebildet wurde. Eine verfrühte Anerkennung der "Rebellenregierung" kann daher völkerrechtswidrig sein.

Übergangsrat fehlt effektive Herrschaftsgewalt über ganz Libyen

Betrachtet man den libyschen Nationalen Übergangsrat im Lichte der dargelegten Prinzipien, so stellt sich die Frage, ob dessen Anerkennung durch Deutschland und andere Staaten nicht verfrüht war. Denn der Übergangsrat übt die effektive Herrschaftsgewalt nur über die Hälfte des Staates aus. Tripolis und andere wichtige Städte sind weiterhin in der Hand von Gaddafi, dessen Regierung bis zum Aufstand unbestritten als Inhaberin der Staatsgewalt anerkannt war.

Dass der Übergangsrat in naher Zukunft die Kontrolle über ganz Libyen erlangen könnte, ist zum jetzigen Zeitpunkt alles andere als sicher. Die Rebellen sind vielmehr weiterhin von der militärischen Unterstützung durch die NATO abhängig. Auch die Sicherheitsratsresolution 1973, die das militärische Eingreifen in Libyen sanktioniert, erwähnt den Übergangsrat mit keinem Wort, sondern wendet sich an die libyschen Behörden, also die von Gaddafi.

Bei Bürgerkriegen bleibt es der Staatengemeinschaft unbenommen, eine Bürgerkriegspartei als solche anzuerkennen und der Revolutionsregierung, die Teile des Staatsgebietes beherrscht, den Status einer de-facto-Regierung zuzuerkennen. Unbestritten übt der Nationale Übergangsrat die Herrschaftsgewalt über Bengasi und den östlichen Teil Libyens aus.

Die Bundesregierung scheint den Nationalen Übergangsrat jedoch nicht als lediglich de-facto-Regierung anerkannt zu haben. Vielmehr hat Außenminister Westerwelle erklärt, der Übergangsrat sei die einzige legitime Vertretung des libyschen Volkes. Dies hat zur Konsequenz, dass die Handlungen des Übergangsrats von Deutschland als völkerrechtlich für ganz Libyen bindend angesehen werden, etwaige Verträge zwischen Deutschland und Libyen nur mit dem Übergangsrat, nicht mehr hingegen mit der Gaddafi-Regierung geschlossen werden können.

Die Anerkennung des Nationalen Übergangsrates stellte der Außenminister in den Kontext der Angriffe Gaddafis gegen das eigene Volk und der daraus resultierenden fehlenden Legitimation. In der Staatenpraxis gab es bereits Versuche, die Anerkennung einer Regierung von der Zustimmung des Volkes abhängig zu machen und damit letztlich von ihrer demokratischen Legitimation. Die nach dem ecuadorianischen Außenminister benannte Tobar-Doktrin, oder auch die US-amerikanische Doktrin unter Präsident Kennedy, die die Anerkennung von Regierungen von der Durchführung freier Wahlen abhängig machten, haben sich allerdings nicht durchgesetzt.

Möglicherweise könnte sich auf Basis des zunehmend populären Gedankens der "Responsibility to Protect" eine Völkerrechtsregel entwickeln, wonach einer Regierung die Anerkennung entzogen werden kann, wenn sie gegen die Schutzverantwortung gegenüber dem Staatsvolk verstößt und einen "Krieg gegen das eigene Volk" führt. Dieser Umstand könnte womöglich auch die Anforderung der effektiven Herrschaftsgewalt bei der Anerkennung einer von der unterdrückten Zivilbevölkerung geformten Alternativregierung lockern. Ob sich diese Ansicht durchsetzen mag, ist zurzeit jedoch ungewiss - und damit auch die Antwort auf die Frage, ob die Anerkennung des Nationalen Übergangsrates durch die Bundesrepublik nicht verführt war.

Der Autor Przemyslaw Nick Roguski, Mag. Iur. ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht, Internationales Wirtschaftsrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

 

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Zitiervorschlag

Przemyslaw Roguski, Anerkennung des libyschen Rebellenrats: Eher überstürzt als überfällig . In: Legal Tribune Online, 15.06.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3507/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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