Revolution in Libyen: Staat­liche Sou­ve­ränität vs. Men­schen­rechte

von Dr. Hans-Joachim Heintze

28.02.2011

Die Opposition hat etliche libysche Städte unter ihre Kontrolle gebracht, Machthaber Gadaffi verschanzt sich in der Hauptstadt Tripolis und rüstet sich offenbar für ein letztes Gefecht gegen sein Volk. Die UNO hat bereits mit Sanktionen reagiert. Aber müsste sie angesichts der massiven Menschenrechtsverletzungen nicht auch militärisch eingreifen? Von Dr. Hans-Joachim Heintze.

Libyen ist ein souveräner Staat und Mitglied der UNO. Das Völkerrecht verpflichtet alle Staaten und internationalen Organisationen wie eben die Vereinten Nationen, sich nicht in die inneren Angelegenheiten des nordafrikanischen Landes einzumischen. Dazu gehören die Staatsform und die Bestimmung eines Staatsoberhauptes. Aus diesem Grund haben westliche Demokratien mit der Regierung unter Gaddafi Verträge geschlossen, mag der Revolutionsführer noch so "eigenwillig" sein.

Nun dringen aber Informationen zu uns, die zeigen, wie Gaddafis Sicherheitsorgane gegen protestierende Menschen brutal vorgehen. Da die Gewaltanwendung unverhältnismäßig ist und massenhaft angewendet wird, handelt es sich um schwere Menschenrechtsverletzungen. Libyen verstößt damit gegen die gewohnheitsrechtliche Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte und auch gegen den UN-Pakt über politische und Bürgerrechte, dem es seit 1970 angehört.

Die Ereignisse sind somit keine innere Angelegenheit des nordafrikanischen Landes. Andere Staaten müssen folglich die Handlungen kritisieren und ein menschenrechtstreues Verhalten einfordern. Auch sind Sanktionen der Staatengemeinschaft durchaus angebracht und wurden auch bereits eingeleitet; zudem wird der UN-Menschenrechtsrat Libyen ausschließen, obwohl es durch die Generalversammlung 2010 gewählt worden war.

Große Furcht vor einem Krieg gegen Terrorgruppen

Allerdings haben die Menschenrechtsverletzungen eine weitere Dimension: Sie bedrohen den regionalen Frieden. Daraus ergibt sich nach Kapitel VII der UN-Charta die Kompetenz des Sicherheitsrates, gegen den Verursacher dieser Bedrohung Zwangsmaßnahmen zu ergreifen. Dafür gibt es Präzedenzfälle; schon 1992 ordnete der Rat mit der Resolution 794 eine militärische Intervention nach Art. 42 UN-Charta in Somalia an, um Menschen vor dem Hungertod zu retten.

Dieser Mechanismus könnte auch im Fall Libyen angewendet werden. Das Thema ist jedenfalls auf der Agenda, auch wenn bisher nur nichtmilitärische Zwangsmaßnahmen nach Art. 41 UN-Charta wie Waffenembargos und Reiseverbote beschlossen wurden. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass der Sicherheitsrat kein rechtliches, sondern ein politisches Organ ist. Folglich entscheiden die 15 Mitgliedsstaaten, ob es in ihrem politischen Interesse liegt, militärisch gegen Gaddafi vorzugehen.

Insbesondere die westlichen Staaten dürften vor dem Hintergrund der Erfahrungen im Irak zögern, sich dafür auszusprechen. Auch dort ging es um die Beseitigung einer Tyrannenherrschaft. Diese gelang auch, allerdings herrschen nach wie vor weithin chaotische Zustände und die Bevölkerung lebt in keinem sicheren Umfeld. Hinzu kommt, dass  wohl auch kein westlicher Staat bereit ist, den Vereinten Nationen Soldaten zur Verfügung zu stellen. Zu groß ist die Furcht vor einem asymmetrischen Krieg gegen islamistische Terrorgruppen.

"Responisbility to Protect" als Garant für die Menschenrechte?

Damit stellt sich die Frage, ob die Menschenrechte eigentlich nur eine hohle Phrase sind und letztlich nicht durchgesetzt werden können. Darf der Westen also aus politischen Gründen nur zuschauen, wie Menschen für ihr legitimes Anliegen nach einer gerechten Staatsordnung wie etwa in Libyen ihr Leben lassen? Dieses Problem bewegt die Völkerrechtler seit der Wende und dem Ende des Kalten Krieges; seither keimt die Hoffnung auf die Erzwingbarkeit von Menschenrechten. Genährt wurde sie durch einige humanitäre Interventionen auf der Grundlage von Sicherheitsratsbeschlüssen, so im Fall Haiti im Jahr 1994.

Im Ergebnis setzten die Staaten die Beschlüsse allerdings nur halbherzig  um.. Bald kam es auch wieder zu politischen Grabenkämpfen. So bezeichnete der Sicherheitsrat etwa im Fall des Kosovo mit der Resolution 1199 im Jahr 1998 die dortige Situation zwar als Friedensbedrohung nach Art. 39 UN-Charta, beschloss aber chartawidrig trotzdem keine wirksamen Zwangsmaßnahmen gegen Serbien.

Das änderte sich, als die Öffentlichkeit Fernsehbilder von Massakern im Kosovo erreichten und sich der so genannte CNN-Effekt einstellte: Angesichts des massiven Drucks durch die Medien sah sich die Politik westlicher Staaten zum einseitigen Handeln gezwungen. Die NATO wurde ohne Ermächtigung des Sicherheitsrates zu einer Bombardierung serbischer militärischer Einrichtungen eingesetzt. Da Art. 2 Abs. 4 UN-Charta allerdings die Gewaltanwendung in den internationalen Beziehungen verbietet, handelte die NATO dabei allerdings im Widerspruch zum Völkerrecht. Folglich wurden ungeschriebene Rechtsfertigungsgründe zur Legitimierung des NATO-Vorgehens angebracht: Man habe es eine humanitäre Katastrophe verhindert; die zu schützenden Menschenrechte stünden in der Hierarchie der Völkerrechtsordnung über den Prinzipien der UN-Charta.

Diese Argumentation führte zu intensiven Diskussionen, die in das Konzept der "Responsibility to Protect (R2P)" mündeten. Demnach soll die dem souveränen Einzelstaat obliegende Schutzverantwortung gegenüber den eigenen Einwohnern dann auf die Staatengemeinschaft übergehen, wenn der betroffene Staat nicht willens oder in der Lage ist, gegen Menschlichkeitsverbrechen vorzugehen. Dieser Fall scheint nun auch in Libyen vorzuliegen. Allerdings handelt es sich bei der R2P bislang nicht um geltendes Recht. Aber selbst wenn es das wäre, stünden die eingreifenden Staaten vor enormen Aufgaben: Sie müssten sicherstellen, dass die Lage nach der Intervention besser ist. Dazu gehört die Übernahme einer Nachsorge-Verpflichtung. Das Beispiel Kosovo hat gezeigt, wie aufwendig diese ist und die Kräfte der Staatengemeinschaft über einen längeren Zeitraum bindet. Nur so aber kann ein erneutes Aufflammen von Feindseligkeiten verhindert werden.

Dr. habil. Hans-Joachim Heintze lehrt Völkerrecht am Institut für
Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht der Ruhr-Universität Bochum.

 

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Zitiervorschlag

Dr. Hans-Joachim Heintze, Revolution in Libyen: Staatliche Souveränität vs. Menschenrechte . In: Legal Tribune Online, 28.02.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2642/ (abgerufen am: 18.03.2024 )

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