Ökonomische Analyse des Rechts: Fast ein bisschen verträumt

von Martin Rath

21.11.2010

Ökonomische Methoden und Konzepte auf juristische Fragestellungen anzuwenden galt unlängst noch als "Imperialismus" der Wirtschaftswissenschaften. Dr. Emanuel V. Towfigh vom Max-Planck-Institut für Gemeinschaftsgüter sprach mit LTO über das Verhältnis von Wirtschafts- und Rechtswissenschaften heute – und ein überraschendes Motiv wissenschaftlicher Arbeit.

LTO: Herr Dr. Towfigh, in den Politikwissenschaften hat bekanntlich die Public Choice Theory die "Romantik" beseitigt, beispielsweise aus dem idealistisch motivierten Politiker den rational-egoistischen Nutzenmaximierer herausgekitzelt. Im Vergleich zum politikwissenschaftlichen Realismus: Stecken die deutschen Rechtswissenschaften vielleicht immer noch in ihrer romantischen Phase?

Towfigh (lacht): Ich glaube, so pauschal kann man das nicht sagen. Anders als die US-amerikanische Rechtswissenschaft hat die deutsche Jurisprudenz ökonomische Ansätze bisher nur zurückhaltend aufgegriffen. Darum erscheint uns eine ganze Reihe von Fragen als neu oder wird in den deutschen Rechtswissenschaften erstmalig so behandelt, wie es in den angelsächsischen Ländern schon länger getan wird.

Wenn es beispielsweise um Fragen rund um die Wirkungsmechanismen des Rechts geht, haben sich darum früher vielleicht eine Handvoll Rechtssoziologen Gedanken gemacht, die breite Masse der Juristen hat sich damit nicht wissenschaftlich auseinandergesetzt. Das Spannungsverhältnis zwischen den Fiktionen, die das Rechtssystem hervorbringt und vielfach benötigt, und der Realität, auf die sie treffen – dieses Spannungsverhältnis wird der deutschen Rechtswissenschaft jetzt zunehmend bewusst.

Rechtswissenschaft ist offener geworden gegenüber anderen Ansätzen

LTO: Früher wurde ja mitunter behauptet, ökonomische Rechtsanalyse und "freiheitliches Rechtsdenken" seien schlechthin unvereinbar. Schlägt der ökonomischen Analyse des Rechts heute noch ein Ideologieverdacht entgegen?

Towfigh: Das dürfte vorbei sein, was an zwei Entwicklungen liegt. Einmal gibt es die Hardliner auf ökonomischer Seite nicht mehr, die die ökonomische Analyse des Rechts normativ betreiben wollten und beispielsweise den homo oeconomicus zum normativen Leitbild erklärten. Zum Beispiel hat sich Richard A. Posner, der bekannteste Kopf der Chicago School, von seinen schärfsten Postulaten distanziert.

Zur Entspannung trägt aber auch bei, dass sich die deutsche Rechtswissenschaft den ökonomischen und psychologischen Ansätzen inzwischen unbefangener nähert und schaut, wo sie sich theoretische Überlegungen nutzbar machen kann – für ein besseres Verständnis des Rechts und des menschlichen Verhaltens. Gerade die verstärkten psychologischen Einflüsse auf die Ökonomie lassen diese für Juristen viel leichter rezipieren.

LTO: Macht sich diese Öffnung der Rechtswissenschaften für sozialwissenschaftliche Methoden auch an den Universitäten bemerkbar?

Towfigh: Soweit ich das überblicke, jedenfalls nicht in der Fläche. Im Lehrbetrieb ist das noch nicht wirklich angekommen. Aber in der rechtswissenschaftlichen Forschung ist eine Öffnung  für ökonomische Methoden wahrzunehmen, die Berührungsängste haben deutlich abgenommen.

Forschung zu ökonomischen Fragen gab und gibt es in allen Rechtsgebieten

LTO: Lässt sich das Interesse von Juristen an ökonomischen Methoden an "großen Fällen" festmachen?

Towfigh: Nein, es gibt allerdings Rechtsgebiete, in denen die ökonomischen Ansätze besonders naheliegen, beispielsweise das private und staatliche Haftungsrecht. Oder auch das Wettbewerbs- und Kartellrecht. Hier werden ökonomische Methoden stark europarechtlich nutzbar gemacht, insbesondere in der Argumentation der Europäischen Kommission.

Insgesamt spielen ökonomische Argumente in der Zivilrechtswissenschaft aber eine größere Rolle als im öffentlichen Recht. Dabei hat es zu allen Zeiten und in allen Rechtsgebieten Forschung zu ökonomischen Fragen gegeben. Zum Beispiel hat Bernhard Schlink schon 1975 in seiner Dissertation das "Arrowsche Unmöglichkeitstheorem" fruchtbar gemacht – für das Problem der Abwägung im öffentlichen Recht. Er war damit seiner Zeit voraus.

LTO: Woran arbeiten Sie gerade?

Towfigh: Wir haben uns zuletzt mit einer größeren Studie zum Glücksspielrecht befasst – an einer Schnittstelle von Ökonomie, Recht und Psychologie. Eine der großen Fragen des Glücksspielrechts ist ja, ob Sportwetten ein Glücks- oder ein Geschicklichkeitsspiel sind. Grob gesagt sind Geschicklichkeitsspiele weitgehend unreguliert. Glücksspiele sind staatlich monopolisiert. Es geht um viel Geld, mit Sportwetten werden über zwei Milliarden Euro umgesetzt. Wir haben uns das einmal empirisch angeschaut, ob sich "Geschick" – also Kenntnisse im Bereich Fußball, Wett-Erfahrungen und so weiter – in irgendeiner Form positiv auf die Gewinnergebnisse auswirkt.

Das Dilemma der "tragedy of commons" als Herausforderung

LTO: Was darf man sich unter dem Max-Planck-Institut für Gemeinschaftsgüter vorstellen?

Towfigh: Es ist ein verhältnismäßig junges Institut, das seit 2002 besteht. Hier arbeiten Ökonomen, Juristen und Psychologen interdisziplinär zusammen. Eine Abteilung ist disziplinär verhältnismäßig stark ökonomisch ausgerichtet – auf den Bereich ökonomische Theorie, insbesondere politische und Institutionenökonomie. Daneben gibt es eine Abteilung, die rein interdisziplinär arbeitet, es gibt hier also nur wenige wissenschaftliche Arbeiten, die nur juristisch, nur ökonomisch oder nur psychologisch angelegt sind.

Im Institut ist eine Forschergruppe angesiedelt, die "Intuitive Experts", die von einem Nachwuchswissenschaftler geleitet wird – einem Psychologen. Diese Forscher befassen sich interdisziplinär mit juristischem Entscheidungsverhalten.

Unsere übergreifende Forschungsthematik sind die Gemeinschaftsgüter wie Luft oder Wasser. Aber auch der gleiche Zugang zu Märkten kann als Gemeinschaftsgut interpretiert werden, was zum Beispiel zu Fragen nach der Regulierung von Finanz- oder Energiemärkten führt.

Die Forschungsfragen gehen dann dahin: Wie kann man diese Gemeinschaftsgüter, wie kann man den rechtlichen Rahmen gestalten, damit die Gemeinschaftsgüter nachhaltig bewirtschaftet werden und es gleichen Zugang zu ihnen gibt?

LTO: Damit diese Gemeinschaftsgüter nicht "tragisch" enden – im "Drama der Allmende"?

Towfigh (lacht): Ja, genau. Gemeinschaftsgüter sind durch individuelle Nutzenmaximierung bedroht, beispielsweise die Almen durch Überweidung. Die Frage, wie man diesem Dilemma – der "tragedy of commons" – entgeht, ist für uns ein wichtiger Forschungsanstoß.

Eigentlich sind wir damit ein wenig Träumer: Wir glauben, diese Tragödie überwinden zu können – aber eben nicht mit romantischen Mitteln, sondern mit den Mitteln ökonomischer, juristischer und psychologischer Forschung.

LTO: Herr Dr. Towfigh, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Interview führte Martin Rath, freier Lektor und Journalist, Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Ökonomische Analyse des Rechts: Fast ein bisschen verträumt . In: Legal Tribune Online, 21.11.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1986/ (abgerufen am: 18.03.2024 )

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