Streiks bei der Bahn: Wenn der Arbeits­kampf alle angeht

Die Eisenbahngewerkschaften haben Warnstreiks angekündigt, um einen einheitlichen Mindestlohn durchzusetzen. Und wie immer im Verkehrssektor fürchten nicht nur die Arbeitgeber den Arbeitskampf, wenn ausfallende Züge und lahm gelegte Verkehrsknotenpunkte drohen. Wie weit dürfen die Arbeitnehmer in einem Bereich gehen, der zur Daseinsvorsorge gehört?

Die Eisenbahngewerkschaften Transnet (DGB) und GDBA (Beamtenbund) haben für diese Woche Warnstreiks im Regionalverkehr angekündigt. Die laufenden Verhandlungen mit Regionalbahnunternehmen stocken. Die privaten Unternehmen zahlen ihren Mitarbeitern zwischen fünf und zum Teil 20 Prozent weniger Lohn als die Deutsche Bahn.

Die Gewerkschaften wollen einen Branchentarifvertrag für den Regionalverkehr mit einem einheitlichen Mindestlohn durchsetzen. Das Lohnniveau soll auf das steigen, was schon für 90 Prozent der Beschäftigten gilt. Die nächste Verhandlungsrunde könnte von Streiks begleitet werden. Der Spielraum für die Arbeitgeber im Arbeitskampfrecht verengt sich immer mehr. Ist das zulässig?

Das Arbeitskampfrecht ist in Deutschland gesetzlich kaum geregelt. Schon eine genauere Definition ist schwierig. Letztlich geht es um die Ausübung kollektiven Drucks, um bestimmte Ziele zu erreichen. Und dieser Druck ist naturgemäß umso höher, je größer das betroffene Kollektiv ist. Für die Zulässigkeit eines Arbeitskampfes sind vier Fragen zu stellen: Wer kämpft? Wofür ist der Kampf? Mit welchen Mitteln wird gekämpft? Und nicht zuletzt: Ist der Kampf verhältnismäßig?

Wer wofür kämpfen darf – manche mehr, manche weniger

Die Fragen nach dem "Wer" und "Wofür" sind relativ einfach zu beantworten. Kampffähig sind die Parteien, die tariffähig und inhaltlich zuständig sind. Die beiden Bahngewerkschaften sind durchaus mächtig und tariffähig. Der DGB hat ca. 220.000, die GDBA noch rund 30.000 Bahnbeschäftigte als Mitglieder.

Arbeitskämpfe von Branchenverbänden könnten zwar – anders als solche von Industrieverbänden – besonderen Anforderungen unterliegen, etwa einer quantitativen Beschränkung der Arbeitskampfziele. Vor allem Spezialverbände wie zum Beispiel die Vereinigung Cockpit können ihre Stellung nämlich monopolistisch ausnutzen, um mit geringem Aufwand großen Druck auszuüben.

Die Unterscheidung ist aber nicht überzeugend, da auch Industrieverbände mit einer geschickten Auswahl der Streikenden und Schwerpunktstreiks mit wenig Aufwand viel Druck machen können.

Ein rechtmäßiger Branchentarifvertrag für die eigenen Mitglieder des Bahn-Regionalverkehrs ist ein zulässiges Kampfziel. Von allgemein nicht zulässigen Solidaritätsstreiks ist bislang nicht die Rede.

Zulässige Waffen im Kampf – für Arbeitnehmer und Arbeitgeber

Das Mittel des Kampfes auf Arbeitnehmerseite ist der Streik. Bummelstreiks, Betriebsbesetzungen und Betriebsblockaden sind meist unzulässig. Warnstreiks während laufender Verhandlungen hingegen sind zulässig und finden statt.

Der Arbeitgeber verfügt von Gesetzes wegen über Gegenmittel. Diese werden allerdings selten umgesetzt: Die Aussperrung hat sich seit Mitte der 80er Jahre weitgehend erledigt. Von den weiteren Mitteln Massenänderungskündigung, Betriebsstilllegung und Streikbruchprämie findet sich am ehesten noch die letztgenannte.

Betriebsstilllegungen sind zwar vom Bundesarbeitsgericht (BAG) wieder ins Gespräch gebracht worden: In seiner Entscheidung zur Zulässigkeit von Flashmob-Aktionen meinte das BAG zuletzt, der Arbeitgeber könne ja mit Stilllegung reagieren. Dies wirkt allerdings eher weltfremd.

Friedenspflicht und Angemessenheit von Warnstreiks

Ob ein Arbeitskampf rechtswidrig oder rechtmäßig ist, entscheidet sich meist bei den Fragen der Verhältnismäßigkeit und sonstiger Einschränkungen. Einschränkungen des Streitrechts sind vor allem die Friedenspflicht und die Schlichtung. Die Friedenspflicht besteht, solange ein Tarifvertrag gilt, über dessen Neuabschluss verhandelt wird. Das ist im Regionalbahnverkehr nicht der Fall. Eine allgemeine Schlichtungspflicht besteht nicht, es sei denn, die Parteien haben ausdrücklich eine vereinbart.

Die Kampfmaßnahmen sind verhältnismäßig, wenn die eingesetzten Mittel geeignet, erforderlich und angemessen sind. Warnstreiks sind ohne Zweifel geeignet, das Ziel eines Tarifabschlusses zu erreichen. Da ein anderes Mittel während laufender Verhandlungen kaum in Frage kommt, sind sie auch erforderlich.

Entscheidend ist die eigentliche Angemessenheit. Maßgeblich ist, ob Stand und Dauer der Verhandlungen einen Warnstreik rechtfertigen. Im welchem Umfang werden der Gegner und vor allem die Allgemeinheit belastet? Wird die örtliche Mindestversorgung gefährdet? Immerhin gehört der Verkehrsbereich zur Daseinsvorsorge, so dass ein Mindeststandard eingehalten werden muss, damit nicht der gesamte Verkehr zum Erliegen kommt.

Zwischen Arbeitskampfrecht und schlechter publicity

Der typische Warnstreik dauert meist eine Stunde. In der Regel vergeht aber deutlich mehr Zeit, bis alles wieder im gewohnten Rahmen läuft. Das ist meist immer noch angemessen und als Begleiterscheinung hinzunehmen.

Die Arbeitgeber können für die Zeit des Warnstreiks den Lohn einbehalten. Ist der Streik rechtswidrig, können sie per einstweiliger Verfügung vorgehen, sofern er rechtzeitig angekündigt wurde. Die Geltendmachung von Schadensersatz ist mit hohen Hürden (Schadensbezifferung, Nachweis) versehen, nur selten erfolgreich und wird daher nicht besonders häufig versucht. Alles andere bleibt theoretisch.

Den Arbeitnehmern steht außerhalb des Streikrechts noch eine praktische Möglichkeit zur Verfügung: Der Betriebsrat könnte eine Betriebsversammlung ansetzen. Die hat denselben Effekt – der Betrieb ruht. Für eine solche Versammlung sind gewisse Voraussetzungen zu erfüllen, aber das Risiko ist für den Arbeitgeber um so realer, je stärker die Gewerkschaft im Betriebsrat vertreten ist.

Den Bahnunternehmen wird wenig anderes übrig bleiben, als auf den Unmut der betroffenen Kunden zu setzen. Auch die Gewerkschaften können sich aber negative publicity nicht leisten, wollen sie nicht noch mehr Mitglieder verlieren. Daran wird auch der für Dezember 2010 geplante Zusammenschluss von DGB und GDBA nichts ändern.

Für die nun angekündigten Warnstreiks gilt jedenfalls, dass sie wohl hinzunehmen sind. Erst wenn sie zu zahlreich oder zu lang werden und damit in die Daseinsvorsorge eingegriffen wird, können die Bahn-Arbeitgeber auf Erfolg vor Gericht hoffen. Solange aber nur regional Verspätungen um ein oder zwei Stunden auftreten, wird das noch als rechtmäßig anzusehen sein.

Der Autor Dr. Gregor Dornbusch ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei Baker & McKenzie in Frankfurt am Main.

Zitiervorschlag

Gregor Dornbusch, Streiks bei der Bahn: Wenn der Arbeitskampf alle angeht . In: Legal Tribune Online, 25.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1784/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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