Dauerbaustelle Insolvenzordnung: Selbstbedienung statt Sanierung

Dr. Franz Zilkens

11.10.2010

Die Politik spricht von der "geordneten" Insolvenz und will das Insolvenzrecht optimieren. Gleichzeitig aber torpediert sie sicher geglaubte und allgemein anerkannte Grundprinzipien des modernen Insolvenzrechts und hebt das ausgewogene System aus den Angeln. Selbstbedienung und Klientelpolitik bestimmen das Bild. Die Fachwelt ist außer sich. Ein Kommentar von Dr. Franz Zilkens

Mit der Insolvenzordnung (InsO) trat vor elf Jahren ein in seinen Grundsätzen ausgewogenes Insolvenzrecht in Kraft. Eine wesentliche Errungenschaft dieses neuen Insolvenzrechts war die umfassende Gleichbehandlung aller Gläubiger, die ein zeitgemäßes rechtsstaatliches Insolvenzverfahren ganz wesentlich ausmacht. Dieser Grundsatz ist zunehmend intensiveren Angriffen der Politik ausgesetzt, die das deutsche Insolvenzrecht damit in die Vorzeit eines modernen Insolvenzrechts zurückbefördern will.

Seit 1877 versucht das kodifizierte Insolvenzrecht einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen. Mitte der 1970-er Jahre wurde zunehmend klar, dass das alte Konkursrecht seiner Ordnungsfunktion nicht mehr gerecht wurde und ein vollständiger Neuanfang notwendig geworden war.

Die Unzufriedenheit beruhte insbesondere auch auf der vorrangigen Befriedigung von Sozialversicherungsträgern, Finanzverwaltung und der Bundesanstalt für Arbeit. Die übrigen Gläubiger hatten dadurch in der Regel keine Zahlungen aus der Insolvenzmasse mehr zu erwarten.

Das Ende eines langen Weges: Das moderne Insolvenzrecht

Mit der 1999 in Kraft getretenen Insolvenzordnung (InsO) wurde ein Insolvenzrecht verabschiedet, dass die Friktionen der verstaubten Konkursordnung weitgehend abgelegt hatte und allgemein als eines der modernsten Insolvenzgesetze gefeiert wurde.

Alle Beteiligten gingen davon aus, dass man hinter den nun erreichten Standard nicht mehr zurückfallen würde und machten sich an die Optimierung des Systems. Auf der Suche nach dem "optimalen" Ausgleich der vielen beteiligten Interessen förderte und fördert die kontinuierliche Evaluierung fortlaufend neuen Reformbedarf zutage, so dass schon im Jahr 2005 das Schlagwort von der "Dauerbaustelle InsO" geprägt wurde.

Bei den "ewigen Baustellen" der InsO geht es um die Verwalterauswahl, eine Erleichterung von Sanierungen, die Neuordnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens und schließlich die Einführung von Regelungen zum Konzerninsolvenzrecht. Diese Diskussionen werden überwiegend konstruktiv auf der ehrlichen Suche nach einem optimalen Ergebnis geführt.

Neuerdings muss diese "Baustelle InsO" jedoch auch vor Angriffen der Politik geschützt werden, die das ganze ausgewogene Gebäude wieder zum Einsturz bringen will. Nach der Finanzkrise erinnern die ehemals bevorrechtigten Gläubiger sich an alte Privilegien der Konkursordnung. Die Gesetzgebung lässt dabei den notwendigen Widerstand vermissen.

Und nun der kurze Schritt zurück: Abkehr von der Gläubigergleichbehandlung

Zuerst kam der Versuch der Sozialkassen, sich vor Anfechtungen der Insolvenzverwalter zu schützen. Als dies auf regulärem Weg nicht gelang, ersann kontinuierliche Lobbyarbeit ein trojanisches Pferd und brachte die erwünschte Regelung in einem besonders abseitigen Paragraphen unter, bei dem Auswirkungen auf die Insolvenzanfechtung von niemandem vermutet wurden: § 28e Abs. 1 S. 3 SGB IV.

Die Verabschiedung dieser Vorschrift ging als sogenannter "Coup im Bundestag" in die Rechtsgeschichte ein. Erst nach zweijähriger Rechtsunsicherheit stellte der Bundesgerichtshof fest, dass die Vorschrift die Anfechtung nicht wie von den Kassen beabsichtigt ausschließt.

Bundesfinanzminister Schäuble muss Haushaltslöcher stopfen und hat dafür die alten Fiskusvorrechte der Konkursordnung entdeckt. Zur Begründung gibt er unverhohlen fiskalische Interessen an und spricht von einem erwarteten Zufluss von 500 Millionen Euro.

Zu Recht hagelte es in der Fachwelt Kritik für diese Art der Selbstbedienung. Kaum hat jedoch die Bundesregierung von diesem Vorhaben wieder Abstand genommen, kommt Bundesfinanzminister Schäuble mit einem neuen Vorschlag, der die Wiedereinführung des alten Fiskusvorrechts mit seiner Brisanz noch in den Schatten stellt.

Die neue Idee: Sonderaufrechnung für die Finanzverwaltung

Der Gesetzentwurf zum Haushaltsbegleitgesetz 2011 will der Finanzverwaltung isoliert eine Sonderaufrechnung ermöglichen. Diese Idee einer Sonderaufrechnung ist nicht nur durch keine sachliche Begründung zu rechtfertigen und stellt einen erheblichen Systembruch dar, sie greift auch intensiv und weitreichend in die Verfahrensabwicklung ein.

Durch die Aufrechnungsmöglichkeit wird es sinnlos, Zahlungen an die Finanzverwaltung vor dem Insolvenzantrag anzufechten, da Finanzamt oder Stadtkasse den Erstattungsanspruch gegen offene Steuern und Abgaben aufrechnen können.

Mit der Aufrechnungsmöglichkeit kann die Finanzverwaltung auch jeden Insolvenzplan zu Fall bringen. Jeder Insolvenzplan würde ihr die Aufrechnungsmöglichkeit nehmen, so dass sie schlechter stünde als bei einem Regelinsolvenzverfahren ohne Insolvenzplan. Durch diese Schlechterstellung genießt sie den Minderheitenschutz und kann einen Insolvenzplan nach freiem Gutdünken zu Fall bringen.

Man muss in der Rechtsgeschichte schon intensiv suchen, um ein vergleichbares Beispiel für scham- und prinzipienlose Selbstbedienung zu finden. Dabei hieß es in der Koalitionsvereinbarung 2009 noch, "der Abbau von Vorrechten im Insolvenzverfahren ist ein wesentliches Ziel der Regierungstätigkeit". Das Anfechtungsvorrecht ist 1,5 Milliarden Euro wert.

Der vorläufige Tiefpunkt: Das Ende der unabhängigen Insolvenzverwaltung

Ein Diskussionsentwurf aus dem Bundesministerium für Justiz schließlich torpediert die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters. Er sieht vor, dass die "wesentlichen Gläubiger" die Auswahl des (vorläufigen) Insolvenzverwalters verbindlich mitbestimmen können.

Damit wird jeder Insolvenzverwalter gezwungen, fortan auf die Gunst der "institutionellen Gläubiger" wie Banken, Finanzämter und Sozialkassen zu schielen, die ihn in den interessanteren Insolvenzverfahren auswählen sollen. Dadurch dürfte die Neigung der Insolvenzverwalter zu Anfechtungen oder die Verfolgung von Haftungsansprüchen gegen diese Gläubiger erheblich sinken. Viele Verfahren dürften ohne diese Zahlungen gar nicht mehr eröffnet werden.

Der Diskussionsentwurf sieht auch vor, dass ein späterer Insolvenzverwalter das Unternehmen bei einem Sanierungsversuch beraten darf. Das führt dazu, dass der Insolvenzverwalter die eigene Haftung auf diesem sehr haftungsträchtigen Gebiet nicht hinreichend selbstkritisch verfolgen wird. Außerdem kann eine hohe Vergütung falsche Loyalitäten zum Schuldner schaffen. Auch bei diesem Vorschlag kann von einer unabhängigen Insolvenzverwaltung keine Rede mehr sein.

Die Politik ist gefordert, durch das Insolvenzrecht eine ausgewogene Balance zwischen den unterschiedlichen Interessen zu finden; mit den vorgelegten Vorschlägen ist sie von einem solchen Ausgleich jedoch weit entfernt. Im Gegenteil opfert sie die Idee der Gläubigergleichbehandlung und der unabhängigen Insolvenzverwaltung und ersetzt sie durch das Prinzip der Selbstbedienung von Finanzverwaltung, Sozialkassen und Bankenlobby.

Der Autor Dr. Franz Zilkens ist Rechtsanwalt bei Amelung & Wagner
Insolvenzverwaltungs GbR in Köln. Er beschäftigt sich im Schwerpunkt mit Insolvenzverwaltung und ist Verfasser verschiedener Veröffentlichungen im Insolvenz- und Wirtschaftsrecht.

Zitiervorschlag

Dr. Franz Zilkens, Dauerbaustelle Insolvenzordnung: Selbstbedienung statt Sanierung . In: Legal Tribune Online, 11.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1685/ (abgerufen am: 18.03.2024 )

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