Die juristische Presseschau vom 5. - 7. Mai 2012: ACTA bald ad acta – Staatsversagen bei NSU-Ermittlungen – Zu wenige Richterinnen am BGH

07.05.2012

Die EU-Kommissarin Neelie Kroes hat das Abkommen gegen Markenpiraterie ACTA für erledigt erklärt. Außerdem in der Presseschau: Kompetenzstreit bei den Ermittlern gegen den Nationalsozialistischen Untergrund, die Linkspartei klagt gegen den Fiskalpakt, GEMA und YouTube, Altnazis, Bullensperma, Call-by-Call, und wie Katzen Strafgefangene resozialisieren sollen.

ACTA bald ad acta: Auf einer Veranstaltung im Rahmen der Konferenz re:publica hat die niederländische EU-Kommissarin für die Digitale Agenda, Neelie Kroes, das umstrittene Abkommen gegen Markenpiraterie ACTA für erledigt erklärt. spiegel.de (Ole Reißmann) berichtet, Kroes und die gesamte EU-Kommission seien zwar nach wie vor von der politischen Richtigkeit Actas überzeugt, nähmen aber die politischen Realitäten zur Kenntnis.

zeit.de (Kai Biermann) meint, trotz ihres Einlenkens bei ACTA und ihres Lobes für die Netzaktivisten sei Kroes keine Verfechterin größerer Freiheiten im Netz. Die Verhinderung weitergehender Online-Überwachung sei nicht ihr politisches Ziel. Marco Dettweiler (FAZ-Samstag) kritisiert auf der Medienseite die unscharfen Begrifflichkeiten der re:publica und meint, ACTA sei ein Brüssel keineswegs vom Tisch.

Ergänzend zur re:publica berichtet spiegel.de (Judith Horchert) über den Auftritt von Rechtsanwalt Udo Vetter (lawblog.de). Dieser rufe zum Rechtsbruch auf, wenn er sage, ein Impressum sei bei einem rein privaten Blog verzichtbar. Meike Laaf (taz) fasst die Debatten der Tagung zusammen und lobt die zielführende Diskussionskultur.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Zu wenig Richterinnen am BGH: Die FR-Samstag (Ursula Knapp) übt in ihrer Printausgabe Kritik an der Entscheidung von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), den bisherigen stellvertretenden  Vorsitzenden Hans-Joachim Dose zum Vorsitzenden des Familiensenats beim Bundesgerichtshof zu machen. Das Gericht hatte die BGH-Richterin Karin Milger vorgeschlagen. Kommt es zur Ernennung von Dose, bliebe es bei einer weiblichen Vorsitzenden bei 17 BGH-Senaten.

Christian Bommarius (FR-Samstag Print) nennt die Männerdominanz "frivol" und "beschämend" und weist darauf hin, dass von den 26 freien in den letzten drei Jahren Richterstellen beim BGH drei mit Frauen besetzt wurden. 

GEMA und YouTube: Der Syndikus für internationale Rechtsfragen der GEMA, Alexander Wolf kommt im Feuilleton der SZ-Montag (Bernd Graff) im Interview zu Wort. Als Konsequenz aus dem Urteil des LG Hamburg müsse YouTube seinen Content-ID-Filter zur Erkennung von Originalsongs nachbessern und einen Wort-Filter zur Erkennung von Songversionen einbauen.

Bankenregulierung: Andreas Dombret (SZ-Montag), Vorstandsmitglied der Deutschen, meint in einem Gastbeitrag im Wirtschaftsteil, die Regulierung von Schattenbanken mache Fortschritte. Dombret verweist auf den Fortschrittsbericht des Finanzstabilitätsrats vom April 2012 und Regelungen, die in Basel II.5 niedergelegt worden seien.

EU-Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente: Rechtsanwalt Markus Lange (blog.handelsblatt.com) setzt sich mit der Stellungnahme des ECON zum Neuentwurf der EU-Kommission für MiFID2 und MiFIR vom Oktober 2011 auseinander. MiFID2 steht für die überarbeitete EU-Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente, MiFIR ist die ergänzende, unmittelbar anwendbare Verordnung. ECON, der Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments, fordere eine umfassende Informationspflicht zum Honorar von Anlageberatern, genauere Hinweise zu den Produkten sowie eine Schadensersatzpflicht bei Verstößen gegen MiFID2/MiFIR. Diese solle von den nationalen Kontrollinstanzen durchgesetzt werden können. Auch eine Protokollierungspflicht als EU-Rechtsvorschrift sei möglich.

Tierschutz im Tierversuch: zeit.de (Adelheid Müller-Lissner) setzt sich mit Wertungswidersprüchen im Tierschutzrecht der EU für Versuchstiere auseinander. 14 Wissenschaftler der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften hätten eine Stellungnahme zum Thema "Tierversuche in der Forschung" veröffentlicht, bei der sie die willkürliche Besserstellung von bestimmten Säugetieren bei Tierversuchen kritisierten. Diese würden lediglich wegen ihrer sozialen Rolle als Haustier, nicht aber wegen ihrer biologisch begründeten "Erlebens- und Leidensfähigkeit" von der Verwendung in Forschungslabors ausgenommen. Bis November 2012 müsse Deutschland ein Gesetz verabschieden, das die Vorgaben der EU-Richtlinie zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere von 2010 umsetzt.

Schultrojaner kommt nicht: Markus Beckedahl (netzpolitik.org) meldet, dass das bayerische Kultusministerium die Entwicklung einer Spähsoftware für illegal genutzte Lehrmittel auf Schulcomputern aufgegeben hat.

Weitere Themen – Justiz

Keine Preisdurchsage unter dieser Nummer: Mit einer Eilentscheidung hat das Bundesverfassungsgericht die in der Neufassung des Telekommunikationsgesetzes vorgesehenen Kostendurchsagen zu Beginn und in Telefongesprächen bis wenigstens zum 1. August 2012 gestoppt, berichtet die SZ-Samstag (jal). Das Düsseldorfer Call-by-Call-Unternehmen Tele2 hatte erfolgreich argumentiert, eine Einführung der Ansagen ohne Übergangsfrist schränke die Berufsfreiheit unzulässig ein.

Linkspartei klagt gegen Fiskalpakt: Abgeordnete und Fraktion der Linkspartei im Bundestag werden vor dem Bundesverfassungsgericht eine Organklage gegen den Fiskalpakt einreichen. Die Verträge schränkten Parlaments- und Parlamentarierrechte in unzulässiger Weise ein, berichtet lto.de (cla)

NPD-Verbot: Reinhard Müller (FAZ-Samstag) äußert Bedenken gegen ein erneutes NPD-Verbotsverfahren und verweist darauf, dass dieser Schritt im Fall eines Erfolges sehr wahrscheinlich ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg nach sich ziehen werde. Dieser stelle die Folgen eines Verbots immer ins Verhältnis zu seinem Nutzen. Die Europäische Menschenrechtskonvention setze strenge Maßstäbe auch für das Verbot von Nachfolgeorganisationen.

Mehmet Daimagüler: Ein Porträt des Rechtsanwalts Mehmet Daimagüler bringt die FAZ-Samstag (Lisa Becker) in ihrer Beilage Beruf und Chance. Der aus einer türkischen Familie stammende Harvard-Absolvent ist heute im Bundesvorstand der FDP. Er spricht über seinen Bildungsweg ebenso wie über Ängste und familiäre Schwierigkeiten.

NSU-Pannen als Staatsversagen: Auf einer Doppelseite zeichnet die SZ-Samstag (John Goetz, Hans Leyendecker, Nicolas Richter, Tanjev Schultz) die Fehler bei den Morden des NSU nach, die von Konkurrenzkämpfen der Ermittlungsbehörden bis zu rassistisch eingefärbten Vorannahmen ("Soko Bosporus") gereicht hätten. Die Berichterstatter sprechen von Staatsversagen. Thomas Stadler (internet-law.de) und spiegel.de (Florian Diekmann) fassen die wesentlichen Ergebnisse des Beitrags zusammen.

Ukraine – Staatenbeschwerde statt Boykott: Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier hält einen Sportboykott gegen die Ukraine für abwegig, berichtet verfassungsblog.de (Alexandra Kemmerer). Stattdessen empfiehlt er eine Staatenbeschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.

Schadenersatz für Winnenden-Massaker: Focus (Göran Schattauer) berichtet in seiner Printausgabe über die Schadenersatzforderung gegen den Vater des Amokläufers von Winnenden, Tim K. in Höhe von 14 Millionen Euro. Jörg K. dem zur Last gelegt wird, Waffen und Munition nicht ausreichend gesichert zu haben, bezeichnet die Forderung als "lachhaft".

Bullensperma nicht patentierbar: Das Europäische Patentamt hat eine Entscheidung widerrufen, die einer US-Firma Patentschutz für Bullensperma gewährt hatte, berichtet die FR (Thomas Magenheim). Das Verfahren, mit dem das Geschlecht von Rindern hätte vorbestimmt werden können, hätte zu einer marktbeherrschenden Stellung führen können. Allerdings sei mit dieser Beschränkung auf das wettbewerbsrechtliche Argument die Patentierung von Leben nicht grundsätzlich untersagt worden, ergänzt die taz-Samstag (Karen Grass).

Weitere Themen – Recht in der Welt

9/11 Verfahren in Guantánamo: In der taz-Samstag (Dorothea Hahn) gibt es einen Vorbericht zur Verlesung der Anklage gegen Chalif Scheich Mohammed und vier weitere Angeklagte in Guntánamo, denen die Planung der Anschläge vom 11. September 2001 zur Last gelegt werden. Die FAZ-Montag (Matthias Rüb) berichtet von der dreizehnstündigen ersten Anhörung und bezeichnet Heeres-Oberst James Pohl, der die Verhandlung leitet, als "Richter mit der weichen Faust", flexibel aber zielstrebig. Die nächste Anhörung werde erst im Juni stattfinden.

Frauenrechte in der Türkei: In der SZ-Montag gibt es in der Beilage der New York Times (Dan Bilefsky, Sebnem Arsu) einen Überblicksartikel zur Situation von Frauen in der Türkei. Zwar sei eine ganze Menge von weitreichenden Gesetzen zur Garantie von Frauenrechten erlassen worden, allerdings werde der bemerkenswerte politischer Wille des nationalen Gesetzgebers vor Ort nicht immer adäquat umgesetzt.

Dissident Chen: In einem Interview in der Printausgabe des Spiegel (Wieland Wagner) äußert sich der chinesische Dissident Chen Guangcheng zur Situation vor seiner Freilassung. Die lokalen Behörden hätten seine Bürgerrechte verletzt und Gesetze und Verordnungen gebrochen, seine Freiheit werde nach Zusagen gegenüber der US-Regierung aber jetzt garantiert.

Sonstiges

Altnazis im BMJ: Über die Tagung der "Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission beim Bundesministerium der Justiz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit" Ende April im Berliner Kammergericht berichtet verfassungsblog.de (Alexandra Kemmerer). Wichtiger als die längst bekannte personelle Kontinuität sei der soziale Kontext für die Justiz in den ersten drei Jahrzehnten der Bundesrepublik und die Frage, wieso es mit oder trotz der alten NS-Juristen gelang, den Schritt zu einem modernen Rechtsstaat zu machen. Das von Manfred Görtemaker und Christoph Safferling geleitete Projekt könne im Idealfall ein Experiment disziplinübergreifender Rechtsforschung werden, von dem nicht nur für die öffentliche Diskussion, sondern auch für die darbenden juristischen Grundlagenfächer wesentliche Impulse ausgehen könnten.

Das Letzte zum Schluss

Streicheleinheiten für Strafgefangene: spiegel.de (Benjamin Schulz) berichtet über ein Modell im Strafvollzug des US-Bundesstaates Washington. In der Larch Correctional Facility sei es zwei Gefangenen gestattet, eine Katze zu besitzen. Auf diese Weise würden die streunenden und verwilderten Tiere darauf vorbereitet, in die Obhut einer Familie zu kommen. Die Häftlinge würden lernen, Verantwortung für ein anderes Lebewesen zu übernehmen und beispielsweise beim Freigang mit der Katze an der Leine ihre Teamfähigkeit schulen.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

(Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen epaper des jeweiligen Titels.)

lto/ro

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 5. - 7. Mai 2012: ACTA bald ad acta – Staatsversagen bei NSU-Ermittlungen – Zu wenige Richterinnen am BGH . In: Legal Tribune Online, 07.05.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6135/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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